Der Tod spielt mit
TU-Dissertation beleuchtet erstmals, wie der Tod bei Casual Games ins Computerspiel kommt und welche Funktion er dort hat - Update (07.01.2019): Video-Einordnung verfügbar
Update (07.01.2019): In einem Video-Clip ordnet TU-Forscherin Miriam Schreiter die Ergebnisse ihrer Studie ein.
Computerspieler und -spielerinnen kennen ihn in der Regel nur zu gut. Aber auch darüber hinaus ist er bekannt und inzwischen sprichwörtliche geworden: der „Game Over“. Meist ist er mit dem Ableben des Spielehelden, in der Fachsprache „Avatar“ genannt, verbunden. Wissenschaftlich ist der im Spiel allgegenwärtige „Tod“ aber bisher noch kaum untersucht. Das ändert sich jetzt mit der durch die Chemnitzer Forscherin Miriam Schreiter vorgelegten Dissertation „Wie kommt der Tod ins Spiel? Von Leichen und Geistern in Casual Games“. Schreiter ist Wissenschaftliche Mitarbeitern an der Professur Interkulturelle Kommunikation (Prof. Dr. Heidrun Friese). Die Forscherin fand heraus, dass der Tod eine zentrale Rolle im Computerspiel einnimmt und eine bedeutende Funktion für die Gestaltung und Vermarktung des Spiels hat.
„Für meine Dissertation habe ich mir überlegt, wie der Tod in digitale Spiel kommt, wie der dort wirkt und welche Praktiken im Umgang mit ihm sichtbar werden. Vor allem aus einer transmedialen und ökonomischen Perspektive“, beschreibt Miriam Schreiter ihr Vorgehen. So sei besonders relevant gewesen, welche Bilder vom Tod sich aus anderen Medien im Computerspiel wiederfinden und welche wirtschaftliche Bedeutung er habe, zum Beispiel wenn Spieler und Spielerinnen Computerspiele online bewerten. Dabei habe sich Schreiter auf den Bereich der sogenannten „Casual Games“ konzentriert, also eher kleine Spiele für zwischendurch wie „Candy Crush“, ein dem Spieleklassiker „Tetris“ ähnelndes Puzzle-Spiel.
Spielen für die Forschung
Für ihre Untersuchung entschied sich die Chemnitzer Wissenschaftlerin für einen ethnografischen Ansatz, wonach sie das jeweilige Spiel in der Tiefe analysierte und mehrfach spielte, um den Mechanismen um die Darstellung des Todes auf die Spur zu kommen. „Ich habe in meiner Untersuchung auch mehrere Methoden kombiniert, darunter visuelle, textuelle und inhaltliche Analysen“, beschreibt Schreiter ihren Zugang. Das so entstandene Untersuchungsmaterial habe neben dem Spielen selbst aus Webseiten, Foren-Beiträgen, Online-Bewertungen, Let’s-Play-Videos, Interviews mit Spielern und Spielerinnen sowie Filmen und mehr bestanden.
„Ich habe insgesamt vier Beziehungsnetze herausgearbeitet, über die der Tod ins Spiel kommt“, fasst die Forscherin zusammen. „Beziehungsnetze“ meine die komplexen sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Zusammenhänge und Verbindungen zwischen Menschen, Dingen und Praktiken. So beschreibe das erste Beziehungsnetz transmediale Zusammenhänge, wobei der Tod über alte Stoffe, Motive und kulturelle Topoi ins Spiel komme, die den Zwecken und Möglichkeiten des digitalen Mediums angepasst werden. „Ein sehr bekanntes Beispiel ist der kopflose Reiter, der schon in alten Mythen und Sagen auftaucht, unter anderem 1999 von Tim Burton in dem Film ‚Sleepy Hollow’ verarbeitet wurde und sich in diversen Variationen auch in Spielen wiederfindet“, erklärt die Forscherin.
Spieler und Spieledesigner verbinden sich im Spiel
Die drei anderen Beziehungsnetze habe Schreiter unter ökonomischen Gesichtspunkten analysiert. Dabei bedeute „ökonomisch“ nicht ausschließlich Geld-bezogen, macht Schreiter deutlich: „Ökonomie beschreibt im weiteren Sinne Tauschprozesse, weil hier Dinge jedweder Art ausgetauscht werden und Menschen darüber miteinander in Beziehung treten.“ So zum Beispiel der Spieler oder die Spielerin, die neben Geld auch Zeit und Aufmerksamkeit an das Spiel gebe und dafür im Gegenzug das Spiel als Produkt, Spielspaß, Belohnungen und Anerkennung für Leistungen tausche. „Auf diesem Weg sind der Spieler, das Spiel, aber auch die Spieledesigner und Spieleproduzenten miteinander wechselseitig verbunden“, erklärt Schreiter.
So werde anhand der „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ gezeigt, wie der Tod über kulturell und visuell etablierte Symboliken und Motive ins Spiel komme. „Das zeigte sich in der Untersuchung zum Beispiel anhand der übermäßigen Verwendung von Schädeln, Knochenteilen, Skeletten, Leichen, Geistern und anderen Symbolen, die für Vergänglichkeit stehen“, erklärt Miriam Schreiter.
Tod Teil der Handlung
Dass der Tod auch Teil der Spielpraktiken selbst ist, weil er die Spielhandlungen initiiert und strukturiert, konnte sie anhand der „Ökonomie des Accomplishments“ darlegen. Dazu Schreiter: „Ein ganz klassisches Muster für den Beginn einer Erzählungen durch den Tod kennen wir aus dem Tatort. Hier gibt es am Anfang einen Mord, eine Leiche wird gefunden und dieses Verbrechen muss nun geahndet und bestraft werden. Viele der Spiele, die ich untersucht habe, funktionieren nach diesem Prinzip.“ Das heiße, die Spiele beginnen mit einer konkreten Aufgabe wie: „Finde den Mörder und verhindere weitere Morde“. Hieran schlössen sich dann weitere Teil- und Folge-Aufgaben an. „In zahlreichen Spielen werden durch die Designer Gefahren und Unordnung geschaffen, weil sie sich wunderbar in Aufgaben für die Spieler überführen lassen.“ Diese Aufgaben arbeiteten Spieler und Spielerinnen kontinuierlich ab, dafür würden sie belohnt und motiviert.
Ihre Untersuchung zur „Ökonomie des Wertes“ macht hingegen deutlich, wie Spielebewertungen die Beziehung zwischen Spieler, Spiel und Spieleproduzent mitbestimmen können. Schreiter: „Viele der Spieler verfassen Spielebewertungen. Darüber demonstrieren sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. Eine Spielebewertung lässt sich aber selbst wiederum durch andere Spieler bewerten. Viele positive Bewertungen steigern auch die Sichtbarkeit und die Popularität eines Spiels und erhöhen die Verkaufszahlen. Das spielt den Produzenten in die Hände. Schlechte Bewertungen helfen den Spieledesignern, die Spiele zu verbessern.“
In ihrer Arbeit habe Schreiter daher nicht nur Wert auf das Thema „Tod“ gelegt, sondern auch, dass Tod die Gestaltung und Vermarktung der Spiele maßgeblich beeinflusst und somit ebenfalls Bestandteil alltäglicher digitaler Kommunikationsformen ist. Der Tod spielt eben im wahrsten Sinne des Wortes immer mit.
Multimedia:
In einem Video-Clip ordnet Miriam Schreiter die Ergebnisse der Studie ein. Der Clip ist im YouTube-Kanal der TU Chemnitz verfügbar.
Weitere Informationen erteilt Miriam Schreiter, Tel. +49 (0)371/531-39948, E-Mail miriam.schreiter-deike@phil.tu-chemnitz.de
Matthias Fejes
07.01.2019