Erst Kulturschock, dann zweite Heimat
Vipul Swamy Ballupet aus Indien schloss 2017 sein Studium an der TU Chemnitz ab, heute baut er im Familienbetrieb der fünften Generation Kaffee an und betreibt ein Ingenieurbüro in Chemnitz
Wissen Sie noch, wie es war, als Sie zum ersten Mal nach Chemnitz kamen?
Es war kalt und dunkel draußen. Mein Freund holte mich am 1. April 2013 vom Chemnitzer Hauptbahnhof ab und ich blieb bei ihm, bis mir vom Studentenwerk nach etwa einer Woche ein eignes Zimmer zugewiesen wurde. Ich erinnere mich deutlich daran, wie kalt ich es fand und, dass ich sichtlich nervös in die Zukunft sah. Ich fühlte eine Fülle von Emotionen: Zum einen hatte ich Heimweh, weil ich meine Familie sehr vermisste, besonders meine Mutter, der ich sehr nah stehe. Zum anderen hatte ich buchstäblich einen Kulturschock und fand es schwierig, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Aber die Chemnitzer waren und sind immer noch herzlich und freundlich. Sie haben mir gezeigt, wie es in Deutschland läuft.
Warum haben Sie sich für ein Studium in Chemnitz entschieden?
Ich habe mich vor und während meiner Bewerbungen an deutschen Universitäten viel informiert und schnell die besonderen Leistungen der TU Chemnitz in den Bereichen Mikro- und Nanosysteme sowie Automotive Software Engineering erkannt. Für mich war die Vielfalt der internationalen Studierenden und Fakultätsmitglieder sehr ansprechend. Das ermutigt Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Nationalität, eine Ausbildung zu erhalten. Ich hatte auch erkannt, wie warm, ruhig und friedlich die Stadt ist. Chemnitz ist meiner Meinung nach ein idealer Ort, um eine Studium zu absolvieren und ein neues Unternehmen zu gründen. Das ist übrigens einer der Gründe, warum ich bis heute in Chemnitz lebe.
Welches Fach haben Sie für Ihren Masterabschluss gewählt?
Mein Ziel war es, mich auf Software-Engineering zu spezialisieren. Deshalb habe ich meinen Master am Institut für Informatik abgeschlossen. Mein Hauptaugenmerk lag auf Automotive Software Engineering, weil ich neugierig auf Fahrerassistenzsysteme und autonome Fahrzeuge war. Ich habe in verschiedenen Abteilungen als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Für meine Masterarbeit habe ich, unter Anleitung von Prof. Dr. Wolfram Hardt und in Zusammenarbeit mit der FusionSystems GmbH in Chemnitz, eine intelligente Diebstahl-Warnanlage für Elektrofahrräder entwickelt. An meinen Wochenenden habe ich im Wohnheim an elektrischen Skateboards gebaut, was mich später dazu brachte, eine eigene Firma zu gründen.
Hat das Studium in einem neuen Land Ihre Lebenseinstellung verändert?
Bevor ich nach Deutschland kam, hatte ich zugleich voreingenommene und vage Vorstellungen von der westlichen Welt. Das hat sich durch mein Leben in Chemnitz geändert. Ich habe lokale und internationale Freunde gefunden, die aus verschiedenen Teilen der Welt kommen. Sie haben mir geholfen, Klischees zu durchbrechen, und haben mir viel über ihre jeweiligen Kulturen und Glaubenssysteme beigebracht. Ich lebe nun schon seit einiger Zeit in Deutschland und betrachte die Welt, andere Länder und Kulturen mit unterschiedlichem Hintergrund mit viel Respekt. Ich bin stolz darauf, dass ich reifer, pünktlicher, disziplinierter und verantwortlicher geworden bin. Deutschland hat mir persönlich und beruflich viel geboten und ist jetzt eine zweite Heimat für mich.
Woran arbeiten Sie gerade?
Derzeit betreibe ich mein eigenes, unabhängiges Ingenieurbüro „Ballupet Consulting“ und habe bereits Kunden in Chemnitz und Zwickau. Für einen meiner Kunden helfe ich eine Smart-Mobility App namens „Drive with me!“ zu entwickeln. Außerdem bin ich einer der Mitbegründer eines in Chemnitz ansässigen Elektrofahrzeug-Start-ups namens "Vimana technologies", das derzeit registriert wird. Mit meinem Mitbegründer Frank Schönefeld besteht unser Kernteam aus sieben Mitarbeitern. Wir entwerfen und entwickeln eine innovative Mikromobilitätslösung, die Ende 2019 auf den Markt kommen soll. Bei all meinen Bemühungen hat mich das Gründernetzwerk Saxeed mit Fachwissen und regelmäßigen Beratungen unterstützt.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Meine Familie baut in der fünften Generation Kaffee an und ich möchte die Familientradition fortsetzen. Ich plane unsere jährliche Produktion von Arabica-Kaffee ab 2020 zu steigern. Außerdem beschäftige ich mich mit Agrartechnologie und Smart Farming, weil die indische Wirtschaft stark von der Landwirtschaft abhängig ist. Derzeit interessieren mich autonome Traktoren und der Einsatz von Drohnen in der Landwirtschaft. In der Zwischenzeit werde ich weiterhin für meine Start-ups tätig sein.
Gibt es etwas, das Sie mit unseren zukünftigen oder gegenwärtigen Studenten teilen möchten?
Es gibt ein altes Sprichwort in der Kannada-Sprache "Desha suttu kosha odu", was übersetzt "um die Welt reisen, die Bücher lesen" heißt. Das bedeutet, dass es Dinge gibt, die man nicht aus Büchern lernen kann, sondern nur aus Erfahrungen. Egal wie fortschrittlich unsere Glaubenssysteme sind, wir werden immer vor sozialen, wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Herausforderungen stehen. Diesen muss mit Bildung begegnet werden. Zukünftige Studierende der TU Chemnitz erhalten eine erstklassige Ausbildung von einer der besten Universitäten in Deutschland. Ich möchte den Studenten raten, diese Chance zu nutzen, um eine glänzende Zukunft für die nächsten Generationen aufzubauen. Und, findet die richtige Balance zwischen Arbeit und Vergnügen. Ich wünschte, ich hätte das vorher gewusst, weil ich zu viel gearbeitet und nicht genug Zeit für meine Freunde hatte. Versucht auch, mit den Chemnitzern in Kontakt zu sein, damit ihr die lokale Kultur versteht! Es gibt euch ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Das Gespräch führte Evamaria Moore.
Mario Steinebach
31.05.2019