Blick in den Fahrgastraum der Zukunft
Laut einer aktuellen Studie des Chemnitz Automotive Institute kommt es rund um das Interieur von Fahrzeugen zu einem Paradigmenwechsel in der Automobilindustrie
Das Chemnitz Automotive Institute (CATI), Geschäftsbereich der TUCed – An-Institut für Transfer und Weiterbildung GmbH, hat bereits 2018 eine „Tiefenanalyse zur Automobilzulieferindustrie in Thüringen“ vorgelegt, die Basis für eine „Automotive Agenda Thüringen“ des thüringischen Wirtschaftsministeriums wurde. Jetzt liegt eine weitere CATI-Studie vor, die der Umsetzung dieser Agenda dient und im Auftrag der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH (LEG) erarbeitet wurde. Diese Studie ist einem künftigen automobilen Wachstumsfeld gewidmet – dem Interieur der Zukunft.
Aufbruch in eine neue Interieur-Welt ab 2025
„Interieur der Zukunft“ steht nicht für die Vision in einer fernen automobilen Zukunft, sondern für einen disruptiven Innovations- und Wachstumsschub, durch den die über Jahrzehnte unverändert fortbestehende Grundstruktur und Wertigkeit von Fahrzeug-Innenräumen ihrem Ende entgegengeht. „Dieser Aufbruch in eine neue Interieurwelt wird mit den Fahrzeug-Generationen ab Serienstart 2025 mit hoher Wachstumsdynamik zur Realität werden“, so die Autoren der Studie Prof. Dr. Werner Olle und Dr. Daniel Plorin, die die Concept Cars von internationalen Automobilherstellern und Start-ups sowie Interieur-Exponate weltweit agierender Systemlieferanten ausgewertet haben. Diese Analyse technologischer Trends wurde durch Expertengespräche mit Entwicklern bei Automobilherstellern, Systemlieferanten und Entwicklungsdienstleistern ergänzt.
Fahrzeug-Innenräume verändern sich nicht grundlos
Die Veränderungsimpulse für das Interieur der Zukunft entspringen mehreren Ursachen: Durch die Elektromobilität entstehen neue Baufreiheiten im Innenraum der Fahrzeuge, durch die Vernetzung der Fahrzeuge bieten sich den Passagieren eine Vielzahl neuer Informations-, Entertainment- und Kommunikationsmöglichkeiten, Fortschritte auf dem Weg zum autonomen Fahren entlasten den Fahrer und schaffen bislang unbekannte, erweiterte Nutzungsansprüche an den Aufenthalt im Fahrzeug und auch der Trend zum Sharing von Fahrzeugen bringt durch höhere Nutzungsintensitäten neue Herausforderungen mit sich. „Das Interieur der Zukunft wird damit wesentlich durch die Megatrends einer neuen Mobilität geprägt“, so Olle.
Paradigmenwechsel vom Fahrer hin zu Passagieren
Das Interieur der Zukunft ist allerdings nicht nur durch technologische Trends geprägt, sondern durch einen grundlegenden Blickwechsel. „Sind Fahrzeug-Innenräume bis heute wesentlich auf den Platz hinter dem Lenkrad fokussiert, so erfolgt nunmehr eine Hinwendung zu allen Nutzern“, schätzt Olle ein und verweist in diesem Zusammenhang auch auf in den Medien getätigten Aussagen. So habe Prof. Dr. Lutz Fügener vom Lehrstuhl für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim in einem Interview mit der „Automobilwoche“ im April 2019 formuliert: „Die Autobauer entdecken derzeit eine Spezies im Auto, die sie bislang nahezu ignoriert haben: die Passagiere.“ Dieser Paradigmenwechsel sei auch laut Hildegard Wortmann, AUDI-Vorstand für Vertrieb und Marketing, in der Branche angekommen: „Der Mehrwert für den Kunden steht im Vordergrund. Wir müssen weg vom Kalten, Technokratischen. Wir wollen nahbarer, wärmer, emotionaler und erlebnisorientierter werden. Es geht darum, Modernität, Progressivität, Lebensgefühl und Zeitgeist zu vermitteln. Der Aufbruch in das Zeitalter der E-Mobilität ist der Beginn einer neuen Welt“, so ihre Aussage in der „Automobilwoche“ im Oktober 2019.
Funktionsintegration als dominierender Trend
Die in der CATI-Studie identifizierten ca. 100 technologischen Einzeltrends betreffen den Materialeinsatz, die Um- und Neugestaltung von Interieur-Komponenten, die Integration von Funktionalitäten sowie damit verbundene neue Fertigungsverfahren. „Eine herausragende hoch-innovative Bedeutung kommt dabei dem Trend zur Funktionsintegration zu, durch den bestehende und neue Funktionalitäten sowie neue Bedienkonzepte in Materialien und Oberflächen von Interieur-Komponenten eingebettet werden“, so Plorin. Das Spektrum neuer Funktionalitäten reiche von vorausschauenden Fahrinformationen über kamerabasierte Insassen- und Innenraumsensorik mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten bis hin zu Funktionalitäten einer „Automotive Health“ von der Vitaldatenerfassung bis zur Früherkennung gesundheitlicher Risiken. „Viele dieser genannten neuen Funktionalitäten werden erst durch entsprechende Software-Applikationen möglich, zum Teil durch den Einsatz künstlicher Intelligenz“, fügt Plorin hinzu.
„Durch diese neue Symbiose aus Material bzw. Oberflächen und Funktionalität wird die branchenübergreifende Technologiekooperation und Integrationskompetenz zum entscheidenden Erfolgsfaktor“, meint Olle. Von wesentlicher Bedeutung werde dabei zudem die Kundenakzeptanz, die insbesondere bei den innovativen Funktionserweiterungen auf ganz neue Herausforderungen der Usability und User Experience treffe. „Das Interieur der Zukunft ist eine automobile Zeitreise vom ehemals dominierenden Kriterium des Spaltmaßes hin zu einer neuen Welt der User experience – ein Neuland für Automobilisten“, so das Resümee der Autoren der Studie.
Eine Kurzfassung der Studie kann über www.cati.institute angefordert werden.
Kontakt: Prof. Dr. Werner Olle, Direktoriumsmitglied CATI, Telefon 0151 64303476, E-Mail werner.olle@cati.institute
Stichwort: Chemnitz Automotive Institute CATI
Das 2015 gegründete Chemnitz Automotive Institute (CATI) ist ein Geschäftsbereich eines An-Instituts der Technischen Universität Chemnitz, der TUCed – An-Institut für Transfer und Weiterbildung GmbH. Der automobile Strukturwandel in seiner Gesamtheit ist ein Forschungsschwerpunkt von CATI. Im Fokus stehen insbesondere ganzheitliche Querschnitts- und Wirkungsanalysen. CATI kooperiert mit Automobil-Netzwerken sowie Praxispartnern aus Industrie, Forschung und Weiterbildung. Über die TUCed, die u. a. einer der Konsortialpartner des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Chemnitz ist, besteht zudem eine enge Verzahnung mit anderen Instituten der TU Chemnitz wie dem Institut für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme.
Mario Steinebach
18.12.2019