Seminar zum Holocaustgedenken in Auschwitz
Bei einer Exkursion nach Auschwitz standen für 19 Chemnitzer Europa-Studierende Workshops, Vorträge und Führungen auf dem Programm
19 Europa-Studierende vertieften ihre Kenntnisse über den Holocaust während der Exkursion "Auschwitz zwischen nationalem Opfermythos und der Universalisierung des Holocaust". Ziel der Exkursion war es, sich intensiv mit dem schwierigen Thema des Gedenkens an den Holocaust auseinander zu setzen - weitaus intensiver als es für Besucher der Gedenkstätten sonst möglich ist. Gemeinsam mit ihrem Seminarleiter, Piotr Kocyba von der Professur Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas, absolvierten die Studierenden vom 27. April 2012 bis zum 1. Mai 2012 ein vielfältiges Programm mit Workshops, Vorträgen und Führungen.
Zunächst setzten sich die Exkursionsteilnehmer in einem Workshop mit den polnisch-jüdischen Beziehungen nach 1945 auseinander. Zwei studentische Vorträge kontextualisierten die Nachkriegsentwicklung durch einen Rückblick auf über fünf Jahrhunderte polnisch-jüdischen Zusammenlebens sowie dessen abruptes Ende während der nationalsozialistischen Besatzung. Welche Auswirkungen dieses Verhältnis auf die Gedenkformen an dem Ort, der wie kein anderer Symbol der Vernichtung des europäischen Judentums ist, annahm, wurde am Samstag im Vortrag von Krystyna Oleksy zum "Wandel der Holocaust-Erinnerungen im ehemaligen KZ Auschwitz" dargestellt. Im Gespräch mit der ehemaligen Direktorin des Bildungszentrums des staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau erfuhren die Teilnehmer mehr über die Gründung, Entwicklung und heutige Arbeit der Gedenkstätte. Anschließend folgte eine dreistündige Führung durch das Stammlager Auschwitz. Das Ausstellungskonzept, das die erdrückende Authentizität des Ortes mit Wissensvermittlung in Form einer aufwendigen Ausstellung zu verknüpfen versucht, wurde Grundlage einer regen Diskussion unter den Teilnehmern. Am Spätnachmittag folgte die Geländeführung "Relikte des KZ Auschwitz und das Gedenken an die Opfer durch Denkmäler, Gedenktafeln und andere Formen", die der Historiker Dr. Andrzej Strzelecki durchführte. Dabei wurde deutlich, wie nachhaltig das Konzentrationslager Auschwitz den Lebensraum des ehemals 40 Quadratkilometer großen Sperrbezirks veränderte. Bis heute finden sich Relikte in den um Oświęcim liegenden Dörfern und Städten, wo die Bewohner auf vielfältige Weise den nach ihrer Rückkehr vorgefunden Spuren des Grauens jenseits des Touristenstroms gedenken.
Am Sonntag nahmen die Teilnehmer an einer dreistündigen Führung durch das ehemalige KZ Auschwitz-Birkenau teil, wo mit sechs Gaskammern und vier Krematorien mehr als 900.000 Menschen ermordet wurden. Danach folgte ein ebenfalls von Krystyna Oleksy präsentierter Multimedia-Vortrag zum Thema "Die SS-Besatzung des Konzentrationslagers Auschwitz in den Archivalien des Museums Auschwitz-Birkenau", in dem sie dazu aufforderte, sich mit den Menschen hinter den Uniformen der unvorstellbar grausamen und daher wesensfremd erscheinenden SS-Männern und SS-Aufseherinnen auseinanderzusetzen. Nur so könne das Bewusstsein dafür geschärft werden, welche Mechanismen aus "ganz normalen Männern" Handlanger des Todes machten. Am Montag besuchte ein Teil der Studierenden die Nationalausstellungen auf dem Gebiet des Stammlagers, ein anderer Teil erkundete die Stadt Oświęcim und das Jüdische Zentrum in Auschwitz. In einem daran anschließenden Vortrag setzten sich die Teilnehmer gemeinsam mit Definitionen und Funktionen von Gedenkstätten auseinander. Ein weiterer Workshop ("Remembrance - Awareness - Responsibility"), durchgeführt von der Leiterin der pädagogischen Abteilung des Museums, Alicja Białecka, thematisierte die Philosophie des Bildungszentrums und verwies auf die unterschiedlichen, sich verschränkenden Bedeutungsebenen des Museums als konkrete historische Erinnerungslandschaft, als umkämpfter Erinnerungsort konkurrierender kollektiver Gedächtnisse und nicht zuletzt als in der Weltöffentlichkeit stets präsente Institution der polnischen Regierung. Später beschäftigten sich die Teilnehmer auch mit der Problematik der Zeitzeugen und deren Funktionalisierung im Bereich der Medien. Die historische Entwicklung dieses Phänomens wurde an verschiedenen Beispielen illustriert. Auch die Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust, die zwischen den Polen realistischer und fiktiver Repräsentationsformen pendelt, wurde an konkreten Beispielen diskutiert.
Zum Abschluss der Exkursion trafen sich die Teilnehmer zu einer gemeinsamen Reflexion. Dabei wurde deutlich, dass die Anwesenheit am Ort des Geschehens und die intensive Vor- und Nachbereitung der verschiedenen Themen vielen Teilnehmern neue Perspektiven eröffneten und einen reflektierteren Umgang mit Auschwitz und dem Holocaust ermöglichte.
(Autor: Piotr Kocyba)
Katharina Thehos
18.05.2012