MADRID MONUMENTAL

 

JUNIORPROFESSUR KULTURELLER UND SOZIALER WANDEL

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Anhand der verschiedenen Räume in dem Monument werden hier Aspekte der Politik von Philipp II. aufgezeigt. Die Räume bilden Erinnerungsspuren, die uns ins Spanien des 16. Jahrhunderts zurückführen.[1] Jeder Raum des imposanten Baus versetzt die Besucher zurück in die Zeit Philipps II., die durch diese Orte lebendig wird.[2] Folgende loci (dt.: „Orte“, „Plätze“; hier: „Räume“ im Escorial) werden erkundet: (i) der Schreibtisch als Schauplatz der Bürokratisierung, von wo aus Philipp II. alle Fäden des Imperiums zusammenhielt; (ii) die Bibliothek als Ort der Sammlungen eines feinfühligen Königs; (iii) die Kirche und das Pantheon der Könige.

Bürokratisierung - Philipp als Puppenspieler am Schreibtisch neben der Hauptstadt

Im Arbeitszimmer im Escorial richtet sich der Blickfang des Raumes auf den Schreibtisch, wo Philipp II. seine Arbeit erledigte. Bei dem Betrachter wird ein Gefühl der Sachlichkeit suggeriert, da wohnliche Raumaspekte und prunkvolle Elemente im Arbeitszimmer ausblieben. Das Mobiliar besteht lediglich aus Schreibtisch, Stühlen und einer Büchervitrine aus dunklem Holz. Durch die weißen Wände wirkt das Zimmer nüchtern und karg. Diese architektonische Strenge lässt sich als Spiegel der Disziplin der Person Philipps II. deuten.

Vom Arbeitsplatz im Escorials ging der Zentralismus seiner Macht aus. Philipp II. ersetzte, anders als die Kaiser und Könige vor ihm, die Reisemonarchie durch die Papiermonarchie. Noch sein Vater, Kaiser Karl V., hatte das ständige Reisen durch die Territorien als Notwendigkeit für die Kontrolle des Volkes gesehen. Philipp II. hingegen machte die Bearbeitung von Papieren und Dokumenten zu seinem Arbeitsstil. „In seinem Königreich herumzureisen ist weder nützlich noch gehört es sich“[3] wurde zu seinem Credo. Die Untertanen hatten dem König aus dem Reich zu berichten und Informationen in den Regierungssitz zu tragen. So konnte die Kontrolle über das Volk auch ohne jahrelange Reisen gewährleistet werden. Ohne große Pausen am Tag ging der Schreibtischmonarch der Unterzeichnung von Ratsbeschlüssen, dem Lesen von Papieren und der Bearbeitung von Akten nach. Zwei Uhren hingen in seinem Arbeitszimmer, welche dem König den Takt der Arbeit, aber keinen Takt der Ruhe angegeben hatten.

Philipp II. wurde in der Jugend mit der Ideologie seines Vaters konfrontiert, wie er herrschen sollte.[4] Durch Instruktionen, die Karl V. in Briefen an seinen Sohn schrieb, wurde Philipp II. vor machtgierigem Höflingen gewarnt. Ohne eine Aufgabe an Berater abzugeben, konnte er alle Kompetenzen für sich beanspruchen und hielt die Macht totalitär inne.

Die Bürokratisierung brachte dem König Vorteile. Für ihn war der Escorial nicht nur Machtzentrale, sondern auch ein Refugium vor der Gesellschaft. Einerseits brachte ihm die neue Form der Monarchie am Schreibtisch die Einsamkeit, die er schätzte.[5] Andererseits konnte er rational, bewusst und ohne äußere Einflüsse Entscheidungen treffen. Die von Philipp II. geschätzte Distanz zu dem Treiben des Hofes war auch ein Grund, warum er den Escorial nicht unmittelbar in seiner Hauptstadt errichtete. Die Bildung der Hauptstadt war einer der ersten Maßnahmen, die der Monarch nach seiner Machtübernahme im Jahre 1561 traf.[6] Er machte Madrid zur Hauptstadt seines Imperiums und zentralisierte dadurch seine Macht. Das Fundament für die Entstehung eines spanischen Staates war gelegt. Die Hauptstadt wurde Zentrum für Politik und Handelswirtschaft. Ferner wurde Madrid zum Informationsumschlagpunkt und vor dem Fertigstellen des Escorials auch zum Zentrum des Verwaltungsapparates. Aber die Bildung der Hauptstadt homogenisierte auch die Bevölkerung. Die verschiedensten Untertanen hatten ein gemeinsames Zentrum mit einer gemeinsamen Nationalsprache bekommen.

Der Regent Philipp II. wählte Madrid aus folgenden Gründen als Hauptstadt aus: Die Stadt befindet sich im zentralspanischen Gebiet Kastilien und stellt die geographische Mitte des Reiches dar. Weiter hielt Madrid die Möglichkeit für Stadt- und Infrastrukturausbau im Vergleich zu Toledo offen. Toledo war zwar für den König auch interessant, da es eine historische Residenzstadt und Zentrum für Produktion von Textil-, Leder- und Eisen war. Allerdings bestach Madrid durch die Villa von Madrid, in der Philipp II. sich bereits während der Regentschaft seines Vaters aufgehalten hatte.[7]

Das Schaffen des stabilen Zentrums für die Monarchie stellte Philipp II. vor neue Herausforderungen. Das Bevölkerungswachstum in Madrid stieg rasant an. Probleme wie geringe Kapazität an Wohnraum und Regelungen im aufblühenden Handelsverkehr erforderten ein weiteres Umdenken im System. Die Verwaltung musste ausgebaut werden, damit die Hauptstadt, sein Herrschaftsgebiet und seine Macht nicht zerbrachen. Teile seines Reiches besaßen schon vor seinem Amtsantritt politische Einrichtungen und Gremien, die für Verwaltung und Gesetzgebung zuständig waren. Der König Philipp II. fügte mehrere Gremien und Räte hinzu. Er gliederte die Verwaltung rational durch einen Staatsrat, einen Kastilienrat und einen Indienrat. Philipp II. hatte außerdem auch einen Rat für Italien, Portugal, und für die Niederlande, sowie einen Kammerrat gegründet.[8] Für die Besetzung der Ämter in den Gremien wählte der König kein Hofadel, sondern Bürger aus. Die Nichtadligen arbeiteten für weniger Geld und zeigten ihm Dankbarkeit für eine Arbeitsstelle. Als positiver Nebeneffekt resultierte daraus eine Gutstellung mit dem Volk. Die Mitglieder der Räte bereiteten die königlichen Entscheidungen nur vor. Sie funktionierten als Berater des Königs. Die beratenden Gremienmitglieder hatten dem König nach einer Ratsversammlung ein Protokoll, das Consulta (dt.: „Beratung“) zuzusenden.[9] Das Dokument kam nach einem Transport über Schiff oder Kutsche in seinem Regierungshauptsitz an. In seinem Büro saß dann Philipp II. wie ein Puppenspieler und fällte die Entscheidungen über den Ratsvorschlag. Die vielen Glieder seiner Puppe, dem Regierungsapparat, steuerte er dann mit Feder und Papier in alle Richtungen.[10]

Die Bibliothek – Philipp als feinfühliger Sammler

Die Bibliothek im Escorial ist ein 500 Quadratmeter großer Raum. Bücherregale aus verschiedenen Edelhölzern verkleiden dessen Wände. Zwischen den Bücherregalen sind Herrschaftsportraits ausgestellt. Die Decke ist ein mit Freskenbildern von Pellegrino verziertes Gewölbe.[11] Zwei vergoldete massive Globusstatuen stehen auf Sockeln in der Mitte der Bibliothek. Die Materialien und Farben lassen die Bibliothek prunkvoll erscheinen und strahlen im Gegensatz zum restlichen Bau des Escorials Wärme aus.

Die Raumaufteilung versinnbildlicht die Vereinigung von Erde und Himmel, sowie die von Idee und Wirklichkeit. Das Gewölbe stellt durch die Engelsabbildungen der Fresken den Himmel und die Kunst dar. In der Gestaltung der Decke verliert sich der Blickpunkt in den Details. Das Pendant des Himmels stellt die untere Raumebene dar, die sich aus den Regalen bildet. Die Wände tragen die Decke und verkörpern somit die Erde und die Wirklichkeit. Die Bibliothek im Escorial ist der Ort, an dem der König seinen Leidenschaften nachging. Diese waren die Kunst und das Sammeln von Dokumenten, besonders aber von Reliquien.[12] Dieser Gebäudeteil galt außerdem als Forschungsstätte, da viele Landkarten und wissenschaftliche Geräte vorhanden waren. Der Sala Principal o de Impresos (dt.: Haupthalle oder Drucksaal) vereinte Kunst und Wissenschaft und wurde 1567 von Juan de Herrera errichtet.

Philipp II. war ein sorgender Vater.[13] Er erkundigte sich stets nach dem Wohlbefinden seiner Töchter, indem er Briefe an diese schrieb. Der Besucher des Escorials erkennt die sensible Seite von Philipp II. in der Bibliothek wider. Die Bücher der Bibliothek wurden vergoldet. Noch heute ist auch die einheitliche Beschriftung der Bücher in den Regalen vorzufinden. Die akkurate Anordnung zeigt die Detailverliebtheit des Königs. Zudem wurden die goldenen Bücherrücken von Philipp II. in Anlehnung an den goldenen Schnitt der Renaissance inszeniert. Philipp II. hatte, die päpstlichen Sammlungen ausblendend, die größte Bibliothek des 16. Jahrhunderts erschaffen. In dieser sammelte er über 14.000 Drucke und Manuskripte über die Wissenschaften der Biologie, der Völkerkunde und der geographischen Wissenschaften in sämtlichen Sprachen. Außerdem sammelte Philipp II. über tausend Gemälde.[14] Ausländische Maler wurden engagiert und dadurch wurde die Kunst Spaniens internationalisiert. Hinter den Vitrinen der Bibliothek im Escorial findet der Besucher auch ein Manuskript, welches von Beato de Liébana stammt. Der Autor hat in diesem die Apokalypse aufgegriffen und es vor über 1.000 Jahren verfasst.[15] Für seine Informationspolitik im Reich sammelte Philipp II. Fragen über Ortschaft, Einwohner, Soldaten und Sonderrechte. Nach der Auswertung ließ er diese ebenfalls in der Bibliothek ausstellen.

Philipp der religiöse Fanatiker

Den Mittelpunkt des Schlosskomplexes bildet die Basilika. Nicht prunkvoll, sondern streng und mächtig fügt sie sich in das Gesamtbild des Escorial ein. Im Inneren befinden sich 40 Altäre – das zentrale Altarbild ist wie der Escorial dem heiligen Laurentius gewidmet. Es zeigt dessen Martyrium. Rechts und links davon befinden sich große Statuen von Philipp II. und seinem Vater Karl V. Diese Kenotaphe weisen auf eine weitere Funktion des Escorial hin: Es dient als Grablege für die spanischen Könige. Die imposante Kirche besteht aus einer Kuppel über einem griechischen Kreuz. Die dadurch entstehende Ähnlichkeit mit dem Petersdom in Rom ist wahrscheinlich gewollt.

„Philipp empfand sich als Kaiser von Gottes Gnaden und damit als heilige Person, dem Papste ebenbürtig.“[16] Dieser Satz zeigt ein weiteres prägendes Element der Herrschaft Philipp II.: Er wird als tief religiös,[17] geradezu fanatisch beschrieben. Er unterstützte die berüchtigte spanische Inquisition und nahm sogar an der öffentlichen Verbrennung von Ketzern teil.[18] Aufstände von Protestanten wurden, zum Beispiel in den Niederlanden, auf seinen Befehl hin blutig niedergeschlagen. Auch dieser düstere Teil seines Charakters nimmt im Escorial Gestalt an: Nicht nur in der Atmosphäre des Baus und der Kirche, auch in der kargen Einrichtung der königlichen Residenz schlägt er sich nieder. Seine Gemächer ließ er direkt neben der Kirche einrichten, um den direkten Blick auf den Hochaltar zu haben.[19] Philipp glaubte streng an einen Gott, der ihn zum Herrscher über das größte Reich der Welt gemacht hatte. Er hielt es für seine Pflicht „die römische Kirche gegen alle Andersdenkenden zu verteidigen, mit Feuer und Schwert und ohne Gnade“.[20] Dies führte letztendlich zum Niedergang der Spanischen Weltmacht.

Als Philipp II. 1580 die portugiesische Krone übernahm, war er Herrscher über ein „Reich, in dem die Sonne niemals untergeht“.[21] Nur durch sein ausgefeiltes Verwaltungssystem war es ihm überhaupt möglich, die Kontrolle über ein Gebiet dieses Ausmaßes zu behalten. Doch ihm ging es vorrangig um etwas Anderes: Er sah es als seine Aufgabe an, die Kirchenspaltung rückgängig zu machen.[22] 1588 entschied er sich dafür, auch Großbritannien wieder in den Schoß der katholischen Kirche zu holen. Es wäre die Krönung seines Lebenswerkes gewesen. Doch die „unbesiegbare Armada“ hatte Pech. Schlechte Witterungsbedingungen zwangen die spanische Flotte zur Aufgabe. Die Niederlage markiert „den Anfang vom Ende der spanischen Weltmacht“[23]

Es scheint, als hätte Philipp II. die Niederlage, gerade mit Hilfe seines Glaubens, gut verkraftet. Er akzeptierte das Scheitern der Unternehmung als den Willen Gottes.[24] Doch für sein Reich begann hier der langsame Zerfall. Spanien war nun durch die zahllosen Kriege hoch verschuldet und auch ideologisch drohte jetzt auseinander zu fallen, was eigentlich nie richtig eins war. Der Herrscher selbst wurde indessen immer mehr von seinen Krankheiten geplagt. Ab 1595 wurden die Gichtgeschwüre so schlimm, dass er Tag und Nacht in einem Spezialstuhl verbringen musste, der seine Gelenke entlasten sollte; er ist heute noch im Escorial zu besichtigen. Philipp II. starb am 13. September 1598 in seinem Bett im Escorial – in der Hand das Kruzifix seiner Eltern.

Das Pantheon der Könige

Wie er es zu Lebzeiten befahl, wurde Philipp unter der Kirche in San Lorenzo del Escorial beerdigt. Betritt man das Pantheon der Könige, ist man überrascht: Der üppige barocke Stil will überhaupt nicht zum strengen schnörkellosen Rest des Escorial passen. Steigt man hinunter in die Krypta, steht man in einem achteckigen Raum mit Kuppel. Ringsumher stehen übereinander gestapelt dunkle, goldverzierte Marmorsärge. Hier, im unterirdischen Zentrum des Escorial ruhen die Gebeine aller großen Herrscher Spaniens. Das Escorial dient als Grabstätte für Philipp II., seinen Vater, Karl V. und ihre Nachfolger. Dies war, neben dem Opfer für den heiligen Laurentius, die Motivation für die Erbauung des Escorial.[25] Phillip II. erschuf ein monumentales Mausoleum für sich selbst und die anderen spanischen Könige. Sogar für seine Grabstätte hat der fromme Monarch genaue schriftliche Anweisungen hinterlassen: Nur Königinnen, die einen Thronfolger geboren haben, dürfen hier bestattet werden; jeder Leichnam muss aus hygienischen Gründen zunächst mindestens 25 Jahre in einem extra dafür vorgesehenen Raum aufbewahrt werden, um schließlich in einer feierlichen Zeremonie offiziell bestattet zu werden. Im Moment warten die sterblichen Überreste von Juan de Borbón y Battenberg und seiner Gemahlin in der Verwesungskammer. Sie werden die Letzten sein, die in der königlichen Grabkammer bestattet werden, denn nur noch zwei der insgesamt 26 Särge sind frei.[26] Mit ihrer Bestattung wird eine Jahrhundert lange spanische Tradition ihr Ende finden.

Das Pantheon ist somit eines der wenigen Elemente des Escorial, das seit seiner Erbauung dem immer gleichen Zweck dient. Die Erinnerung und Würdigung der spanischen Könige. Mit der Grabkammer hat Philipp II. einen Ort geschaffen, der bis heute die spanische Tradition prägt.

Lesen Sie mehr:


 

[1] Zerche 2006: 13-15.
[2] Hermann 2002: 65.
[3] Vasold 2001: 54.
[4] Berg 2008: 85.
[5] Berg 2008: 91.
[6] Edelmeyer 2009: 118.
[7] Edelmeyer 2009: 114-117.
[8] Edelmeyer 2009: 129.
[9] Vasold 2001: 58
[10] Berg 2008: 82.
[11] Sancho Gaspar 2009: 109-112.
[12] Edelmeyer 2009: 140-144.
[13] Edelmeyer 2009: 171.
[14] Edelmeyer 2009: 135-138.

[15]Volberg 2001.
[16] Mattingly 1988: 88.
[17] Edelmeyer 2009: 264
[18] Edelmeyer 2009: 103.
[19] Vasold 2001: 51.
[20] Edelmeyer 2009: 103
[21] Maertin 1989.
[22] Berg 2008: 94.
[23] Berg 2008: 90.
[24] Berg 2008: 88.

[25] Sancho 2009: 71.
[26] Kahl 2000.