MADRID MONUMENTAL

 

JUNIORPROFESSUR KULTURELLER UND SOZIALER WANDEL

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Um die Bedeutung des Siglo de Oro in der Vergangenheit zu untersuchen, wenden wir uns zunächst den Erbauungsjahren der beiden beschriebenen Monumente zu. Die Rede ist von den Jahren 1878 und 1902, einer Zeit, in der in Spanien der Nation-Building-Prozess, der Anfang des 19. Jahrhunderts begonnen hatte, noch in vollem Gange war. Nachdem die erste spanische Republik 1874 nach nur einem Jahr endete, wurden die Monarchie und die alten Staatsstrukturen wiederhergestellt. Der Verfassung von 1876 folgte eine lange politisch stabile Phase, die bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hineinreichte.[1]

In dieser Zeit wurden zahlreiche Denkmäler errichtet, durch die der Staat an die wichtigsten Erinnerungsorte der spanischen Nation erinnerte.[2] Das Verständnis des Siglo de Oro als eine Zeit des kulturellen Höhepunkts spielte dabei eine große Rolle. Die Gegenwart wurde an der Vergangenheit gemessen und wurde zur Idealisierung spanischer Größe.

Auch während des Franco-Regimes von 1939 bis 1975 fand eine ideologisch begründete Verzerrung des Siglo de Oro statt: Die Herrschaft der Katholischen Könige wurde als Höhepunkt der spanischen Geschichte beschworen und die jener Zeit eingerichtete Inquisition als Lösung zu einer nationalen Einheit hervorgehoben. Die Fokussierung auf die religiösen Ideale während des Siglo de Oro, die andere politische Ziele vernachlässigen ließ und somit zum Niedergang des spanischen Imperiums beitrug, wird somit in der traditionalistischen Geschichtsschreibung in ein ehrenhaftes Licht gerückt. Denn die franquistische Diktatur knüpfte ideologisch an die ehemalige Größe Spaniens an und so wurde der Katholizismus zum identitätsstiftenden Element der spanischen Nation erklärt.[3]

Die Geschichtsschreibung nach dem Ende der Franco-Ära wandte sich mehr den einzelnen Regionen zu. Außerdem konnten neue Quellenbestände ausgewertet werden, deren Ergebnisse ein sehr differenziertes Bild des Aufstiegs und Niedergangs Spaniens zeichnen. So kommen die Forscher überein, dass der Niedergang Spaniens hauptsächlich in der Inquisition und einer schwachen Wirtschaft begründet lag, wobei sich beides bedingte. Denn mit der Verfolgung der Juden und Mauren wurde auch ein wirtschaftlich aktiver Bevölkerungsteil vertrieben. Andere Ergebnisse zeigen, dass die spanische Gesellschaft des 16. und 17. Jahrhunderts trotz aller Einschränkungen eine relativ offene Gesellschaft mit sozialen Aufstiegsmöglichkeiten war.[4]

Fassen wir die Ergebnisse zusammen, so zeigt sich das Siglo de Oro als eine Epoche der Gegensätze. Höhepunkt des spanischen Imperiums und Blütezeit der Künste einerseits und machtpolitischer Niedergang und religiöse Intoleranz andererseits machen das Goldene Zeitalter zu einem besonderen Teil der spanischen Geschichte, der auch gerade deshalb zu politischen Zwecken instrumentalisiert wurde.

An Bedeutung hat diese wichtige Epoche in Spanien bis heute nicht verloren, was die Inschriften und Straßenschilder des Barrio de las Letras zeigen, die erst im 21. Jahrhundert angebracht wurden. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Denkmälern werden diese sicherlich bewusster wahrgenommen – vor allem nicht nur von den Touristen, sondern auch von den Madrilenen selbst. Die modernen "Erinnerungsstützen" bewirken vielleicht, dass sich mehr Spanier mit den Autoren des Siglo de Oro auseinandersetzen und auf diesem Wege mehr über ihre Geschichte erfahren.

Carolin Pöschke

[1] Brinkmann 2005: 155-156.
[2] Brinkmann 2005: 11-14.
[3] Bernecker 1996: 151-164.
[4] Pietschmann 1996: 173-186.

Bibliografie:

  • Bernecker, Walther L. (1996): „Die spanische ,Dekadenz’ im Urteil der Historiker der Franko-Ära“ in: Duchhardt, Heinz / Strosetzki, Christoph (Hgg.), Siglo de Oro – Decadencia. Spaniens Kultur und Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Köln: Böhlau (Band 10), 151.
  • Brinkmann, Sören (2005): Der Stolz der Provinzen. Regionalbewusstsein und Nationalstaatsbau im Spanien des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. u.a.: Lang.
  • Pietschmann, Horst (1996): „Spanien im Dreißigjährigen Krieg: Der Niedergang Spaniens in der Historiographie der Nachkriegszeit“ in: Duchhardt, Heinz / Strosetzki, Christoph (Hgg.), Siglo de Oro – Decadencia. Spaniens Kultur und Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Köln: Böhlau (Band 10), 167.
  • Salvador Prieto, María del Socorro (1990): Escultura monumental en Madrid: calles, plazas y jardines públicos (1875-1936). Madrid: Alpuerto.
  • Simson, Ingrid (2001): Das Siglo de Oro. Spanische Literatur, Gesellschaft und Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts. Stuttgart: Ernst Klett.