Pressemitteilung vom 25.05.1998
Frauen lösen die Mordfälle mit dem Bauch
Literaturwissenschaften/AmerikanistikFrauen lösen Mordfälle mit dem Bauch Chemnitzer Amerikanistin spürt weibliche Detektive in der Literatur auf
(Pressemitteilung 122/98)
Sie gehören zu den beliebtesten Büchern überhaupt: Kriminalromane. Obwohl sie in Deutschland nicht gerade zur hohen Literatur gerechnet werden, haben sie ein nach Millionen zählendes Publikum - gibt es doch kaum ein schaurig-schöneres Gefühl, als in der Phantasie im Blut zu waten und sich dabei wohlig in den heimischen Sessel zu kuscheln. Mehr als tausend Krimis werfen allein die deutschen Verlage jedes Jahr neu auf den Markt, mit steigender Tendenz. Neun von zehn dieser Bücher sind Übersetzungen aus dem Englischen, deutsche Kriminalromane hingegen stehen eher selten im Regal der Buchhandlungen.
Sherlock Holmes hat ausgedient
Kaum eine Romangattung auch hat sich in den vergangenen 30, 40 Jahren so verändert wie der Krimi. Wurden damals die Fälle fast immer von Typen im zerknautschten Regenmantel á la Humphrey Bogart gelöst, furchtlos und hart im Nehmen, einsamen Helden, die immer von dem schalen Geruch von Whiskey umgeben waren, so sind es mittlerweile weibliche Detektive, die den Ton angeben. Und immer häufiger werden Krimis auch von Frauen geschrieben - und gelesen. Zwar gab es auch im "Goldenen Zeitalter des Krimis", zwischen den beiden Weltkriegen, vor allem in England schon eine Reihe höchst erfolgreicher Krimiautorinnen: Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, Margery Allingham und Ngaio Marsh etwa. Doch deren Helden waren schillernde Gestalten wie Hercule Poirot (Christie), Albert Campion (Allingham), Roderick Alleyn (Marsh) oder Lord Peter Wimsey (Sayers). Einzige Ausnahme: die liebenswert verschrobene (und natürlich unverheiratete) Miss Jane Marple (Christie). Die USA freilich waren zu jener Zeit das Dorado von Autoren wie Raymond Chandler oder Mickey Spillane, die für weibliche Detektive allenfalls Spott und Verachtung übrig hatten. Und auch die Krimiautorinnen nach dem zweiten Weltkrieg, Patricia Highsmith etwa oder Martha Grimes, bevorzugten männliche Detektive.
Ganz und gar Frau: die Detektivgestalten von heute
Seit den 70er Jahren hat sich dies jedoch gründlich geändert: Krimis von Frauen für Frauen mit weiblichen Detektiven gelten als "heiß", sogar eigene "Frauen-Krimi"-Reihen gibt es. Warum die Frauen-Krimis mittlerweile zu einem regelrechten Kultphänomen geworden sind, hat jetzt erstmals die Chemnitzer Amerikanistik-Professorin Evelyne Keitel untersucht und in ihrem Buch "Kriminalromane von Frauen für Frauen" beschrieben. . Den Anfang mit den neuen, ganz und gar weiblichen Detektiven machte laut Keitel 1977 Marisa Muller mit ihrem Roman Edwin of the Iron shoes. Dessen Heldin Sharon McCone machte erstmals die Mörderjagd zu ihrem Beruf - vorher waren die vereinzelten weiblichen Detektive wie etwa Miss Marple oder Amelia Butterworth (eine Figur von Anna K. Green) durchweg Amateure gewesen. Der Muller-Roman aber löste ganze Wellen von Nachahmungen aus. Fünf Jahre später veröffentlichten Sue Grafton und Sara Paretsky, wohl die bekanntesten Kriminalautorinnen der Gegenwart, die ersten Texte ihrer jeweiligen Serien. Und seither wird eine grundlegend neue Art von Detektivroman geschrieben, nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt (in Deutschland beispielsweise von Sabine Deitmer, Doris Gerke, Regula Venske, Ingrid Noll und Christine Grän, in Spanien von Maria-Antonia Oliver, in Israel von Ora Schem-Ur, etc.).
Putzfrau und Kräuterweiblein lösen Kriminalfälle
Die Detektivinnen von heute stammen aus einer anderen Welt: der der Astrologie, der Pathologie, der Psychologie und der Geologie. Sie arbeiten, soweit sie nicht Privatdetektivinnen sind, in allen nur denkbaren Berufen, etwa als Kräuterweiblein, wie die Figur China Bayles von der Autorin von Susan Wittig Albert, in einer Putzkolonne wie Callahan Garrity von Kathy Hogan Trockeck, als Aufsicht in einem US-Nationalpark wie Anne Pigeon von Nevada Barr oder als Lebensmittellieferantin wie Goldy Schultz von Diane Mott Davidson; sogar eine Gasableserin ist vertreten - Vejay Haskell von Susan Dunlap. All diese Detektivinnen, so stellt Keitel fest, haben nichts mehr gemein mit dem arroganten und exzentrischen Detektiv á la Sherlock Holmes oder Hercule Poirot. Weibliche Detektive sind greifbarer, menschlicher - und wesentlich sympathischer. Sie machen Fehler und Erfahrungen; sie altern und reifen - anders als etwa Miss Marple, die in über vierzig Jahren zwar etwas zittriger und tattriger, aber nicht wesentlich älter wurde.
... und der Verleger freut sich auch
Viele der Detektivinnen-Romane, etwa die von Sue Grafton, Sara Paretsky oder Patricia Cornwell, werden regelmäßig zu Bestsellern - vor zehn Jahren wäre dies noch äußerst ungewöhnlich gewesen. Überhaupt erleben die Detektivgeschichten gegenwärtig eine noch nie dagewesene Blüte, und die Frauen-Krimis haben sich zu einer regelrechten Goldgrube für die internationalen Verlage entwickelt. Anders als das ursprüngliche Goldene Zeitalter des Krimis wird das Neue Goldene Zeitalter nicht mehr von englischen, sondern von amerikanischen Autorinnen beherrscht. Und während im Goldenen Zeitalter der Mörder gefunden und ausgesondert werden mußte, damit die Gesellschaft in ein Stadium der Unschuld zurückkehren konnte, kommen im Neuen Goldenen Zeitalter die Detektivinnen häufig bei ihren Ermittlungen zu einer ganz eigenen Einstellung zum Verbrechen und zum Verbrecher. Die Folge: das Motiv von Strafe und Sühne wird problematisch. Wichtiger noch: Die neuen Frauen-Detektive denken anders als ihre männlichen Vorgänger, und entsprechend anders lösen sie auch ihre Fälle. Detektive á la Sherlock Holmes benutzten dazu ihren Verstand, und manchmal halfen ihnen dabei treue, aber etwas naive Gefährten wie Dr. Watson. Das Verhältnis der beiden ist dabei nicht selten homoerotisch eingefärbt. Dieses Muster findet sich sogar noch zwischen William von Baskerville und seinem Gehilfen Adson in Umberto Ecos Der Name der Rose von 1980. Der Gehilfe dient dabei auch dazu, die Fähigkeiten des Meisters gehörig herauszustreichen.
Mit Gefühl und Eingebung den Mörder finden
Die Detektivinnen des Neuen Goldenen Zeitalters hingegen vertrauen häufig und sehr bewußt einer plötzlichen Eingebung, wie etwa Kinsey Millhone in der Geschichte "Full Circle" von Sara Paretsky. Solche Eingebungen und glücklichen Zufälle aber sind, in diesem Zusammenhang, nur andere Worte für ein wildes Raten. Aber die Frauen stehen zu diesen merkwürdigen Gedankenverbindungen, die sich bisweilen aus unerfindlichen Gründen neu ordnen und zu einer Gestalt verdichten. Die Eingebung, das Raten, das schöpferische Denken, sie sind laut Keitel ohnehin wesentlich ergiebiger als das trockene logische Schließen. So gesehen sind die Krimis von Frauen für Frauen Verständigungstexte. Eine Frauenfigur steht bei ihnen im Zentrum, und sie betonen die Zusammenhänge. Die moderne Detektivin verbindet den klassischen Miss-Marple-Roman mit dem Neuen Goldenen Zeitalter. Die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und die unterschiedlichen Regionen, die dort vorkommen, zeigen hingegen einen vollständigen Bruch mit den Mustern, die für das Goldene Zeitalter bestimmend waren.
(Autor: Hubert J. Gieß, Wissenschaftsredakteur der TU Chemnitz)
Wer mehr wissen möchte, greife zu Evelyne Keitels Buch "Kriminalromane von Frauen für Frauen - Unterhaltungsliteratur aus Amerika". Erschienen ist es 1998 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt. Es umfaßt 220 Seiten und kostet 49,80 Mark.
Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät, Reichenhainer Str. 39, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Evelyne Keitel, Tel. 0371/531-4277, -4257, Fax 0371/531-4053, E-Mail: evelyne.keitel@phil.tu-chemnitz.de
Hinweis für die Medien: Zu diesem Beitrag können Sie ein Foto in der Pressestelle anfordern (Motiv: Frau Prof. Keitel umringt von Kriminalliteratur). Denkbare Bildunterschrift: "Ohne Krimi geht die Evi nie ins Bett..." - Die Rolle weiblicher Detektive in amerikanischen Kriminalromanen untersucht Prof. Dr. Evelyne Keitel von der TU Chemnitz. Sie verknüpft dabei nahtlos ihr Hobby mit ihren wissenschaftlichen Interessen. Foto: Steinebach, TU Chemnitz