Pressemitteilung vom 31.01.2000
Joachim Gauck spricht an der Chemnitzer Uni
"Wir müssen aufarbeiten, um uns zu befreien"Joachim Gauck spricht an Chemnitzer Uni
Er ist gleichzeitig der Höhe- und der Schlusspunkt der erfolgreichen Ringvorlesung "1989/1990 - 1999/2000: Revolution in der DDR - und zehn Jahre danach": der Vortrag von Joachim Gauck, dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, meist einfach "Gauck-Behörde" genannt. Am Dienstag, dem 1. Februar 2000 um 18.15 Uhr spricht Joachim Gauck im Hauptgebäude der Chemnitzer Uni, Straße der Nationen 62, Hörsaal 201 über seine Zeit in und nach der DDR.
An die 300 Menschen kamen in den vergangenen Wochen jeweils zu den Vorträgen, um DDR-Oppositionellen wie Jens Reich, Vera Lengsfeld, Markus Meckel, Freya Klier oder Rainer Eppelmann zuzuhören - manchmal mehr als der Saal fasste. So wurden sogar Treppenstufen und Notsitze in Beschlag genommen. Bei Friedrich Schorlemmer - der mit der "Schwerter-zu-Pflugscharen"-Aktion - mussten die Zuhörer sogar in einen größeren Saal umziehen, was möglicherweise auch bei Gauck nötig sein wird. Und jedes Mal gab es hinterher spannende, oft kontroverse Diskussionen, konnten doch viele der Besucher eigene Erfahrungen aus Wende- und Nachwendezeit einbringen. Denn nicht nur um die DDR ging es in der Reihe, sondern auch um Hoffnungen und Enttäuschungen, erfüllte wie nicht erfüllte Erwartungen von Vortragenden und Zuhörern.
Die Vorträge der Vorlesungsreihe werden noch in diesem Jahr in einem Buch abgedruckt, das im Christoph Links Verlag in Berlin erscheinen wird.
Zur Person:
Der 1940 geborene Joachim Gauck wuchs in Rostock als Sohn eines Kapitäns auf. Nach dem Abitur studierte er Theologie. Als Pfarrer in Lüssow bei Güstrow und später im Neubaugebiet Rostock-Evershagen wurde Gauck schnell durch seine offenen und kritischen Worte bekannt.
1989 war er einer der Gründer des "Neuen Forum" in seiner Heimatstadt und stieß mit anderen zusammen den kirchlichen und öffentlichen Widerstand gegen die SED-Diktatur an. Ab März 1990 war er "Forum"-Abgeordneter in der ersten frei gewählten Volkskammer, die ihn zum Vorsitzenden des Parlamentarischen Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit wählte. Zum 3. Oktober 1990 ernannten ihn deshalb Bundespräsident und Bundeskanzler zum "Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes". Daraus wurde mit Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Ende 1991 der "Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik"
(BStU), die "Gauck-Behörde" in Berlin. Im Herbst 1995 wurde Gauck für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Bei der Gauck-Behörde versucht man, die DDR-Vergangenheit aufzuarbeiten. "Wir müssen aufarbeiten, um uns zu befreien", gibt sich Gauck überzeugt. Ein Schlussstrich, so der ehemalige Pfarrer, nütze nur den Unterdrückern von einst.
Seine Behörde findet sich auch im Internet unter http://www.bstu.de . Dort gibt es auch ein schwarzes Brett, auf dem sich Stasi-Opfer ihren Frust von der Seele schreiben können, auf der aber auch diejenigen, die die Wahrheit immer noch nicht wahrhaben wollen, ihre Meinung sagen können: ( http://www.snafu.de/~bstu/schwbrett/wwwboard.html ).
Die Unterdrückungsmethoden der Stasi spiegelten sich bis hinein in die Sprache wider. Dies hat der - mittlerweile emeritierte - Chemnitzer Germanist Prof. Christian Bergmann bereits vor einiger Zeit eingehend erforscht: http://www.tu-chemnitz.de/spektrum/96-4/9.html#2 . Mittlerweile sind die Untersuchungen von Prof. Bergmann auch als Buch unter dem Titel "Die Sprache der Stasi" im Verlag Vandenhoeck & Rupprecht in Göttingen erschienen. Das Buch hat 133 Seiten und kostet 19,80 Mark.
Hinweis für die Medien: Wir vermitteln Ihnen am 1. Februar gern einen Interview-Termin mit Joachim Gauck.
Weitere Informationen beim Organisator der Vorlesungsreihe: Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät, Fachgebiet Politikwissenschaft, Reichenhainer Str. 41, 09126 Chemnitz, Prof. Dr. Eckhard Jesse, Tel: (03 71)5 31-21 79; Fax: (03 71)5 31-40 94; E-Mail: eckhard.jesse@phil.tu-chemnitz.de