Pressemitteilung vom 27.07.2004
Wir-Gefühl gegen "die da oben"
Wir-Gefühl gegen "die da oben"Politikwissenschaftler vergleicht PDS und Schill-Partei und stößt auf vergleichbare populistische Tendenzen
Populismus in der Politik ist kein ausschließliches Phänomen im rechten Parteien- Spektrum, sondern tritt ebenso im linken Lager auf. Das ist das Ergebnis einer Fallstudie des Chemnitzer Politikwissenschaftlers Dr. Florian Hartleb, der in seiner Doktorarbeit die populistischen Züge der PDS und der Schill-Partei unter die Lupe genommen hat. Wie Florian Hartleb mit einem Kriterienkatalog belegt, ist Populismus nicht nur ein schillerndes Schlagwort im politischen Tagesgeschäft, sondern eignet sich auch als eine wissenschaftliche Begriffskategorie.
"Es gibt einen populistischen Parteientypus, der sowohl rechts als auch links zu finden ist", so Dr. Hartleb, der sich gegen die Gleichsetzung der Begriffe "Populismus" und "Extremismus" ausspricht. "Populismus ist mehr als nur ein Politikstil. Mit Anti-Positionen richtet er sich gegen den Status quo und fixiert sich auf bestimmte Themen, die Massen mobilisieren." Dr. Hartleb liefert erstmals einen methodischen Ansatz zur Etikettierung populistischer Parteien: Demnach gilt als populistisch, wer Anti-Partei-Effekte bedient, in Gegnerschaft zum Establishment steht, zu medienwirksamen Tabubrüchen neigt und über eine zentrale Leitfigur verfügt. Nach dieser Einschätzung vermittelten populistische Parteien zudem Feindbilder, priesen die direkte Verbindung zwischen Regierung und Bürgern an und stellten ein zentrales Thema in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Die von den "großen" Volksparteien ausgehende Interessenvertretung, die parlamentarische Repräsentation erscheint populistischen Formationen als defizitär.
Dass in Deutschland sowohl Schill-Partei als auch die PDS diese Kriterien zum Großteil erfüllen, davon ist Dr. Florian Hartleb überzeugt. "Es existieren diverse Gemeinsamkeiten, insbesondere beim Selbstverständnis, dem Verhältnis zur Parteienkonkurrenz, dem Streben nach institutionellen (Schein-)Reformen und der Themenwahl in nationalen und globalen Belangen. Staat, Bürokratie und supranationale Organisationen firmieren als unkontrollierbarer Moloch." Für den linken und den rechten Populismus sei der Wir-Affekt gegen "die da oben" typisch.
Dr. Hartleb weist auch unterschiedliche populistische Ausprägungen im linken und rechten Lager nach. Für die Schill-Partei sei das Wir-Gefühl gegen "die da draußen" charakteristisch, das sich etwa in der Ablehnung von Immigration und EU sowie der starken Betonung von "Law-and-order" zeige. Anders die PDS: Als pazifistisch ausgerichtete Partei des Antifaschismus und -rassismus sei ihr Wir-Gefühl gegen "Faschisten, Kapitalisten und multinationale Konzerne" gerichtet. Überschneidungen gebe es dagegen im Bestreben, sich als Partei sozialer Zuwendungen darzustellen.
Der 24-jährige Dr. Florian Hartleb ist der erste Nachwuchswissenschaftler, der seine Doktorarbeit im Rahmen des an der Technischen Universität Chemnitz eingerichteten Promotionskollegs "Politischer Extremismus und Parteien" vorgelegt hat. Betreut wird das Promotionskolleg von Prof. Dr. Eckhard Jesse, der an der TU Chemnitz die Professur Politikwissenschaft II (Politische Systeme/Politische Institutionen) innehat. Dem von der Hanns-Seidel-Stiftung geförderten Kolleg gehören über 20 Doktoranden an. Die mit "summa cum laude" bewertete Dissertation von Florian Hartleb wird demnächst mit dem Titel "Rechts- und Linkspopulismus. Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS" beim VS-Verlag für Sozialwissenschaften erscheinen.
Weitere Informationen geben Prof. Dr. Eckhard Jesse, Inhaber der Professur Politikwissenschaft II (Politische Systeme/Politische Institutionen) der TU Chemnitz, Telefon (03 71) 531 21 79, E-Mail eckhard.jesse@phil.tu-chemnitz.de und Dr. Florian Hartleb, Telefon (0 85 07) 265, E-Mail florian_hartleb@web.de.