Pressemitteilung vom 29.10.2012
Ein Schlauch, der Leben retten soll
Die Professur Fördertechnik der TU Chemnitz ist an der Entwicklung eines Rettungsschlauches beteiligt - Ziel: Evakuierung aus Hochhäusern, von Bohrinseln und anderen Gebäuden
Am 11. September 2001 stürzten die beiden Türme des World Trade Centers in New York ein, nachdem sie durch terroristische Flugzeuganschläge in Brand gesetzt wurden. Menschen oberhalb der brennenden Etagen hatten keine Möglichkeit, sich aus den Gebäuden zu retten. Manche sprangen ungesichert und in Panik aus den Fenstern. "Dieses Szenario hat gezeigt, dass für Gebäude ein weiterer Evakuierungsweg gebraucht wird, um Menschen in Sicherheit zu bringen, wenn die Treppen nicht mehr passierbar sind", sagt Lars Jahreis, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Fördertechnik der Technischen Universität Chemnitz. Die TU-Fördertechniker haben gemeinsam mit einer in Deutschland ansässigen Tochterfirma (AHI-D) des schweizerischen Unternehmens AH Invention AG sowie weiteren sächsischen Unternehmen einen Rettungsschlauch entwickelt, der genau dies leisten kann.Installiert wird das System in einem Container auf dem Dach oder in einer der oberen Etagen des Gebäudes. Im Notfall wird das Evakuierungssystem vollautomatisch entlang der Fassade bis zum Erdboden herabgelassen und verankert. Bei Bohrinseln endet die Schlauchkonstruktion direkt in den Rettungskapseln. Geführt wird das Schlauchsystem dabei über Stahlseile, die es in Form halten und zusätzlich die Belastungen aufnehmen, die durch die Evakuierung und Wind entstehen. Von einer im Container befindlichen Plattform steigen die Menschen nach Freigabe des Evakuierungssystems selbstständig in den Schlauch. Dieser besteht aus einer äußeren und einer inneren Gewebekonstruktion. Die innere Konstruktion bildet ein Luftkammersystem, das durch Ventile gesteuert wird. Abgebremst werden die Menschen auf dem Weg bis zum Boden deshalb nicht nur über Reibung, sondern sie verdrängen hauptsächlich die Luft in den Kammern und geben so ihre Bewegungsenergie ab. An der Außenhaut angebrachte und mit den Führungsseilen verbundene Federsysteme halten dabei das System in einer stabilen Form. Unten angekommen gleitet der Gerettete die letzten Meter auf einer Rutsche aus dem Evakuierungssystem. Ein wechselseitiger Ausstieg sorgt für ausreichend Zeit zum Verlassen des Systems.
Die Außenhaut des Schlauches besteht aus einem Aramidgewebe, das mit Aluminium beschichtet ist. Aramid, ist ein Hochleistungswerkstoff, der unter anderem für Schutzkleidung eingesetzt wird. Im Schlauchsystem hat das Aramid die Aufgabe, die hohe Bewegungsenergie des Systems aufzunehmen und an die Tragkonstruktion weiterzuleiten. Das Aluminium der Außenbeschichtung reflektiert Hitze und dichtet gleichzeitig das Gewebe gegen Rauch ab. "Dadurch ist die Schlauchkonstruktion weitgehend hitzebeständig. So kann der Rettungsschlauch auch dann noch sicher genutzt werden, wenn kurzzeitig Flammen aus dem Gebäude schlagen", so Jahreis. Das Innenmaterial, an dem die Person entlanggleitet, ist mit einem Kunststoff beschichtet, der gute Gleiteigenschaften aufweist. Der beim Rutschen durch Reibung entstehende Temperaturanstieg liegt zum aktuellen Stand der Forschung bei maximal 15 Grad Celsius. "Das wollen wir noch weiter optimieren, aber schon jetzt sind Verbrennungen weitgehend ausgeschlossen", sagt Jahreis.
Zum Einsatz kann das Rettungssystem sowohl in neu geplanten Hochhauskomplexen als auch an Bohrinseln kommen. "Momentan ist das System auf maximal 100 Meter ausgelegt. Aber eine Erhöhung auf mehrere Hundert Meter ist bei den noch laufenden Entwicklungsarbeiten realistisch", so Jahreis. Darüber hinaus kann das System aber auch Gebäude ergänzen, bei denen sich die Nutzung im Laufe der Zeit so geändert hat, dass heute mehr Fluchtwege gebraucht werden, als sie im ursprünglichen Nutzungskonzept eingeplant waren.
Getestet haben die Wissenschaftler den Rettungsschlauch mit dem Namen "Swiss Rescue System (SRS)" in einem 24 Meter hohen Turm in Görlitz. Dabei kamen zuerst Säcke, später Dummys und schließlich Probanden mit und ohne Sicherungsseilen zum Einsatz. Das Projekt wurde von der Sächsischen Aufbaubank mit 1,4 Millionen Euro gefördert. In einer zweiten Phase des Projektes soll ab Dezember 2012 der Rettungsschlauch optimiert und in enger Zusammenarbeit mit dem TÜV Süd bis Mitte 2014 für den Einsatz als Evakuierungssystem zertifiziert werden. Die Fertigung des Schlauches übernimmt die Firma Golle Zelte und Planen GmbH in Plauen. Ein vierter Kooperationspartner, die Firma BMS Stahlbau GmbH aus Görlitz, entwickelt und fertigt den Großteil der Systemperipherie, mit der das Schlauchsystem herausgefördert wird. Ziel der weiteren Forschung ist unter anderem, das Gewicht des Rettungsschlauches zu reduzieren. "Das Gesamtsystem darf nicht zu schwer sein, damit es in oder auf das Gebäude integriert werden kann", sagt Jahreis und ergänzt: "Deshalb werden wir versuchen, unter anderem die Stahlseile, die den Schlauch führen, durch Faserseile zu ersetzen. Auf diesem Gebiet haben wir an der Professur Fördertechnik bereits langjährige Erfahrungen, sodass dieser Schritt sicher in naher Zukunft gelingt."
Der Rettungsschlauch gilt jedoch laut deutscher Gesetzgebung nicht als Rettungsweg. Er dient lediglich der Evakuierung, bei der sich die gefährdeten Menschen selbst in Sicherheit bringen können. "Der Rettungsschlauch deckt vor allem die Zeit ab, zwischen dem Eintritt beispielsweise eines Brandes und dem Eintreffen der Rettungskräfte", erklärt Jahreis und resümiert: "Mit dem SRS haben wir eine Evakuierungsmöglichkeit entwickelt, die weit über den Stand der Technik hinausgeht. Mit seiner Hilfe wird es möglich sein, im Notfall sehr viele Menschenleben zu retten."
Weitere Informationen erteilen Lars Jahreis, Telefon 0371 531-39376, E-Mail lars.jahreis@... und Dr. Thomas Linke, Telefon 0371 531-32330 E-Mail thomas.linke@....
Hinweis für die Medien: In der Pressestelle der TU Chemnitz können Sie honorarfrei ein themenbezogenes Foto anfordern. Motiv: Der Rettungsschlauch besteht aus einer inneren und einer äußeren Gewebekonstruktion, deren Verbindung stark beansprucht wird. Ob die verwendeten Materialien den hohen Belastungen standhalten können, testet Lars Jahreis von der Professur Fördertechnik im Prüflabor der TU Chemnitz. Foto: TU Chemnitz/Wolfgang Schmidt. Dieses Foto finden Sie auch im Ordner "Forschung" des Online-Bildarchivs der Pressestelle: http://www.tu-chemnitz.de/tu/presse/bilder