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Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
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Pressemitteilung vom 11.04.2016

100 Jahre Frauenstudium in Chemnitz

Wo einst drei Schülerinnen an der Königlichen Gewerbeakademie begannen, studieren heute 5.089 Studentinnen an der Technischen Universität

Im Hochschulwesen ist es heute selbstverständlich, dass Frauen studieren, promovieren oder eine Professur leiten. Ein Blick in die deutsche Geschichte zeigt jedoch, dass erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts Frauen zum Studium zugelassen wurden, in Chemnitz noch später. Mehrere Zehntausend Studentinnen haben bisher in Chemnitz studiert, dafür wurden viele Stolpersteine ausgeräumt und so manche Förderung auf den Weg gebracht.

Die ersten drei Schülerinnen wurden hier Mitte April 1916 an der damaligen chemischen Abteilung der Königlichen Gewerbeakademie aufgenommen: die 21-jährige Luise Hoffmann aus Meißen, die 17-jährige Ilse Knoll aus Lengenfeld im Vogtland und die 20-jährige Elisabeth Trültzsch aus Bockwa. Die drei Schülerinnen schlossen das Studium erfolgreich ab, Luise Hoffmann mit Belobungsurkunde. Auf technischem Gebiet war die Gewerbeakademie in Chemnitz eine der ersten Schulen in Sachsen, die Frauen ein gleichberechtigtes Studium ermöglichten - von 1920 an wurden regelmäßig Schülerinnen eingeschrieben. Dies war einerseits dem Zuspruch von Vertretern der Akademie und der lokalen Wirtschaft zu verdanken, andererseits war es auch eine Folge des Ersten Weltkrieges.

Frauen waren auch während der Zeit des Nationalsozialismus an den verschieden Einrichtungen im Chemnitzer Schulverband unterpräsentiert. Dies war insbesondere der in einer Verordnung zur Durchführung des „Gesetzes gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen vom April 1933“ festgelegten Höchstgrenze des Frauenanteils von höchstens zehn Prozent geschuldet. In der Fachrichtung chemische und textilchemische Technik waren nur wenige Schülerinnen vertreten. 1941 wurde an der Staatlichen Färbereischule die Abteilung für Chemotechnikerinnen gegründet, an der zwischen 1941 und 1944 zwanzig Frauen einen Ausbildungslehrgang absolvierten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden am 9. April 1947 die Technischen Lehranstalten Chemnitz eröffnet. Dieser Schulverband bestand aus den Ingenieurschulen für Maschinenbau, für Chemiker, für kommunalen und industriellen Bau, für Elektrotechnik, für Wärmewirtschaft und Gesundheitstechnik sowie für Blechformung, Schnitt- und Stanzenbau. Von den 488 Schülern sind 22 weiblich. Mit Dr. Ingeborg Rothe tritt am 2. Mai 1947 die erste Dozentin in die Technischen Lehranstalten ein und unterrichtete als nebenamtliche Lehrerin Volkswirtschaftslehre. Mit Beginn der Hochschulreform 1947 wurde ein Frauenanteil von 30 Prozent angestrebt, jedoch erreichte man an den Lehranstalten in den Folgejahren nur einen Anteil von maximal 4,6 Prozent.

1953 wurde die Hochschule für Maschinenbau gegründet, an der nur acht Frauen von den 290 neuen Studenten ein Studium aufnahmen. Von Beginn an bestand ein Frauenausschuss, welcher sich als beratendes und kontrollierendes Organ um die weiblichen Angelegenheiten an der Hochschule kümmerte. Dieser bemühte sich um die Durchsetzung des 1961 herausgegebenen Frauenkommuniqués des Politbüros des ZK der SED der DDR. Das Kommuniqué umfasste einen umfangreichen Maßnahmenplan zur Förderung der Gleichberechtigung und Ausbildung der Frauen. Die Hochschule musste nun jährlich einen Frauenförderungsplan erstellen, der mit entsprechender Unterstützung und Förderung, den Anteil der Studentinnen erhöhen und eine bessere Grundlage für die Verknüpfung der Ausbildung sowie der Rolle als Frau und Mutter schaffen sollte. Trotz intensiver Werbung an den Oberschulen und zum „Tag der offenen Tür“ konnte bis 1964 kein Durchbruch im Frauenstudium erreicht werden: Unter den 2.341 Studenten waren nur 104 weiblich (4,4 Prozent). Nach der 1. Zentralen Mädchenkonferenz der Technischen Hochschule am 18. Februar 1965, an der etwa 300 Abiturientinnen und Oberschülerinnen teilnahmen, stieg die Anzahl der Studentinnen auf 192 (9,1 Prozent).

Zur Unterstützung der Frauen während des Studiums sahen die Förderpläne neben Vorträgen, Hochschulsportmöglichkeiten, Stipendien und Auszeichnungen vor allem die Erreichung von guten Studienergebnissen und -abschlüssen sowie die Vermittlung von Absolventinnen entsprechend ihrer Qualifikationen sowie die Einrichtung von Frauensonderklassen vor. Diese sollten den Studienabschluss auch bei Unterbrechung durch Schwanger- und anschließender Mutterschaft während der Ausbildung gewährleisten. Dazu wurden Studienkollektive, individuelle Studienpläne, Wohnheimplätze sowie die Kinderbetreuung in Krippen und Tagesstätten gefördert. Am 1. August 1971 wurde der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt die neuerbaute „Kinderkombination Reichenhainer Straße“ mit 64 Krippen- und 144 Kindergartenplätzen übergeben. Sie war die erste Einrichtung dieser Art im Bereich des Ministeriums für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR. Mitte der 1970-er Jahre stieg der Frauenanteil unter den Studierenden erstmals auf über 40 Prozent, sank dann aber wieder bis 1989 auf etwa 25 Prozent.

Mit der Eingliederung der Pädagogischen Hochschule Zwickau 1992 in die Technische Universität Chemnitz und der Gründung der Philosophischen Fakultät am 24. Januar 1994 entwickelte sich in den geisteswissenschaftlichen Studiengängen insbesondere für Frauen eine neue Perspektive. Im darauffolgenden Wintersemester waren 35,9 Prozent der immatrikulierten Studenten weiblich, wovon sich 815 der 1.513 Frauen für ein Studium an der neugegründeten Fakultät entschieden. Heute studieren an der Technischen Universität Chemnitz 11.904 Studenten, davon sind 5.089 weiblich (42,8 Prozent).

Bereits im September 1994 wurden an der TU Richtlinien zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bekanntgegeben, die neben der Festlegung der Berufung von neuen Professorinnen vor allem die Motivierung von Frauen auch für ingenieur- bzw. naturwissenschaftliche Studiengänge anstrebt. Um dies zu erreichen, wurden ein Schnupperstudium, besonders in den MINT-Fächern, und der Girls´Day eingeführt, an denen Schülerinnen teilnehmen können. Der nächste Girls´Day findet übrigens am 28. April 2016 statt.

Um Absolventinnen aller Fakultäten nachhaltig zu motivieren, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben, zeichnete das Zentrum für Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung der TU Chemnitz seit 2013 hervorragende Abschlussarbeiten von Nachwuchswissenschaftlerinnen mit dem Eleonore-Dießner-Preis und dem Marie-Pleißner-Preis aus. Eleonore Dießner war eine der ersten Studentinnen an der Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt. Nachdem sie 1969 als dritte Frau in Chemnitz promovierte, arbeitete sie erfolgreich als Wissenschaftlerin und engagierte sich zudem als Vorstand des Arbeitskreises „Frauen im Ingenieurberuf“ des Vereins Deutscher Ingenieure in Sachsen. Und die Chemnitzer Lehrerin und Frauenrechtlerin Marie Pleißner setzte sich sehr für eine bessere Mädchenausbildung und die Zulassung einer akademischen Ausbildung von Frauen ein. Die diesjährige Preisverleihung findet am 27. Juni statt. Bereits am 3. Mai wird an der TU Chemnitz die Ringvorlesung „Aktuelle Themen aus der Frauen- und Geschlechterforschung“ fortgesetzt. An diesem Tag wird Dr. Bettina Brockmeyer von der Universität Bielefeld referieren. Und im Rahmen der Festwoche anlässlich des 180-jährigen Jubiläums der TU wird eine kleine Ausstellung auch „100 Jahre Frauenstudium in Chemnitz“ thematisieren.

Hinweis für die Medien: In der Pressestelle der TU Chemnitz können Sie honorarfrei themenbezogene Fotos anfordern.