Willkommen im „Clubhouse“
Talkshow für die Hosentasche oder exklusiver Zirkel? Was leistet die neue Social-Media-App „Clubhouse“ – Ein Streitgespräch zwischen Jun.-Prof. Dr. Christian Papsdorf und seinem Studenten William Schubert
Es gibt ein neues soziales Netzwerk, das aktuell vor allem bei Journalistinnen und Journalisten sowie Politikerinnen und Politikern für einen Hype sorgt, im positiven wie negativen Sinne: „Clubhouse“.
So hatten kürzlich Äußerungen des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in dieser App Diskussionen hervorgerufen. Hinzu kommen gravierende Mängel beim Datenschutz und ein exklusiver Zugang, der sich aktuell auf Nutzerinnen und Nutzer von Apple-Geräten beschränkt und nur per Einladung oder Warteliste möglich ist.
Trotzdem erfreut sich die App eines großen Wachstums in kurzer Zeit. Damit verbunden auch die Hoffnung nach mehr Teilhabe an Politik und Medien für jedermann. Denn was die App besonders macht, ist der niederschwellige Zugang zu Debatten mit Spitzenpersonal aus Politik, Wirtschaft und Medien. In Diskussionsräumen zu bestimmten Themen kommen die Nutzerinnen und Nutzer zusammen und diskutieren ausschließlich per Audio. Das soll es erleichtern, sich zuzuschalten und mit Spitzen aus Politik, Wirtschaft und Medien ins Gespräch zu kommen.
So sieht das jedenfalls William Schubert, Master-Student an der Technischen Universität Chemnitz. Er studiert Digitale Arbeit an der TU mit den Schwerpunkten Plattformökonomie, Virtual- und Augmented Reality. 2017 gründete er ein eigenes Unternehmen und entwickelt VR-Software im Infotainment-Bereich. Schubert ist Digital-Enthusiast und betont die Möglichkeiten, die das Netzwerken und die Diskussion mit Eliten ermöglicht.
Dagegen hält sein Professor Christian Papsdorf, Inhaber der Junior-Professur für Techniksoziologie an der TU Chemnitz. Papsdorf ist Experte für Digitalisierung und digitale Arbeit. Er sieht es kritisch, dass sich in Clubhouse eine „Bubble“ um sich selbst dreht und es mehr um Eliten-Talk als echte Teilhabe der breiten Gesellschaft an relevanten Diskussionen geht.
Herr Papsdorf, wie bewerten Sie den Umstand, dass Clubhouse aktuell vorwiegend elitär, dort aber sehr intensiv genutzt wird?
Papsdorf: Das hat mich überrascht. Vor allem, weil es ja schon so viele Netzwerke gibt und dieses zudem noch als Langformat und ‚Audio Only‘ funktioniert, was im Zeitalter verstärkter Visualität und Zuspitzung – Stichworte ‚Instastory‘ und ‚TikTok‘– aus der Zeit gefallen scheint. Gleichzeitig bestätigt es meine Beobachtung, dass gerade auf politischer Seite vielfach Möglichkeiten verpasst wurden, in den sozialen Medien in einen direkten und niederschwelligen Dialog mit den Menschen zu gehen. Offenbar will man hier diesmal früher auf einen Zug aufspringen und von Anfang an dabei sein.
Wie beurteilen Sie hier das zum Teil recht hemdsärmelige Auftreten von politischem Spitzenpersonal wie dem thüringischen Ministerpräsidenten?
Papsdorf: Ich muss zunächst klarstellen, dass ich Clubhouse selbst nicht nutze und daher mit einer Außenperspektive durch die Medienberichte darauf schaue. Es ist aus der Forschung aber bekannt, dass eine hohe Immersion und Interaktivität, die Clubhouse ja bietet, dazu führen kann, dass sich Situationen privat anfühlen, auch wenn sie es nicht sind. In so einer Situation kann es passieren, dass man sich auch mal zu etwas hinreißen lässt.
Schubert: Clubhouse ist ja kein privater Raum. Selbst wenn man sich nur zu Diskussionen zuschaltet und nichts sagt, bewegt man sich dort immernoch in der Öffentlichkeit.
Papsdorf: Aus meiner Sicht ist dieser Anschein von Privatheit für ein Medium erstmal eine gute Sache, weil so mehr Authentizität hineinkommt. Die Kehrseite wiederum ist der elitäre Zugang.
Herr Schubert, Sie sind Student und betonen ja unter anderem die Vorzüge des Netzwerkens bei Clubhouse. Wie sehen Sie es, dass der Zugang zum Netzwerk eingeschränkt ist?
Schubert: Ich sehe den elitären Zugang nicht als Problem. Zum einen kann man den Zugang recht leicht über eine Einladung bekommen oder sich auf eine Warteliste setzen lassen. Auf der anderen Seite ist es für die Entwickler ein gutes Kontroll- und Testinstrument, dass gerade jetzt am Anfang die App noch nicht überrannt wird, zum Beispiel auch durch rechte Gruppierungen. Das gibt die Möglichkeit, das noch am Anfang stehende System trotz Betriebs zu optimieren. Dass die App aktuell auf iOS beschränkt ist, finde ich auch nicht problematisch, zumal die App in naher Zukunft geöffnet werden soll. Ich empfinde es als großen Gewinn, zu Themen, die mich interessieren, ganz direkt mit Experten zu diskutieren. Zum Beispiel zum Thema digitale Arbeit.
Papsdorf: Durch die Zugangsbeschränkung entsteht eben gerade kein Austausch, der eine Wirkung für die Gesellschaft hat. Ganz bezeichnend ist das für den Bereich der Politik. Hier geht es ja gerade darum, möglichst viel Reichweite zu bekommen, damit die eigenen Positionen diskutiert werden können. Durch Beschränkung funktioniert das nicht. Das finde ich schwierig und ist ein Nachteil. Aus meiner Sicht müsste neben der Öffnung für Android auch das Einladungssystem wegfallen. Ich denke aber, dass das ist nicht gewünscht ist, weil dann die Marketing-Effekte des FOMO – Fear Of Missing Out (Angst etwas zu verpassen; Anm. d. Red.) und das Gefühl, zu einem exklusiven Kreis zu gehören, auch entfallen.
Schubert: Ich sehe das Ganze auch vor dem Hintergrund einer Plattform-Ökonomie und frage mich aus Entwicklersicht: Wie schaffen wir es, in diesem stark fragmentierten Netzwerkmarkt zu bestehen? Und da muss ich sagen, ist Exklusivität eine gute Strategie, die ja offensichtlich auch funktioniert – alle reden seit einer Woche über die App.
Papsdorf: Mag sein, aber es bleibt dabei: Wichtige Diskussionen finden in der Bubble statt und nicht dort, wo sie hingehören; nämlich in der Öffentlichkeit.
Schubert: Solche Debatten finde ja sonst in der Regel in Talkshows statt. Bis die Sendung läuft, braucht es einen aufwendigen Prozess über Auswahl und Anfrage durch die Redaktion, Maske, Studio etc. Zudem kommen dort oft die gleichen Personen nur in verschieden Konstellation zusammen. Zuschauer sind in der Regel gar nicht Teil dieser Runden. Die Schwelle ist also sehr hoch und man kann sagen, dass die Diskussion auch in einer Bubble stattfindet. Das ist bei Clubhouse anders. Hier treffen verschiedene Konstellationen zusammen und jeder kann teilnehmen. Aktuell ist eben noch viel Marketing dabei, auch Selbstmarketing, und da treten die Vorzüge in den Hintergrund.
Wirkt die App also mehr durch das Marketing als durch die Inhalte?
Papsdorf: Was man auf jeden Fall sagen kann ist, dass die Verbreitung der App ein Lehrstück in Sachen Marketing ist. Die App gibt es ja schon etwas länger, aber dass sie sich jetzt so – mit aller Vorsicht – ‚viral verbreitet zeigt ja auch, dass sie vielleicht auch gerade in dieser Zeit einen Nerv trifft. Sie ist ja auch in Deutschland besonders erfolgreich. Das haben die Entwickler erkannt und geschickt genutzt. Hier muss ich auch meine Hut vor den Entwicklern ziehen, dass sie sich überhaupt auf diesen stark umkämpften Markt gewagt haben.
Schubert: Aktualität ist ein gutes Stichwort. Was ich aus einer der Diskussionen mit dem Netzaktivisten Sascha Lobo mitgenommen habe ist, dass es durch Clubhouse leichter werden wird, Expertenrunden zu bilden. Es wird möglich, sich zu aktuellem Geschehen vor Ort live mit Experten zusammenzuschalten und zu diskutieren. Das gibt es in dieser Form noch nicht. Ein kritikwürdiger Punkt hier ist aber, dass es aktuell nach den AGBs nicht erlaubt ist, Gespräche mitzuschneiden. Das wird gerade für Medienmacher auf Dauer ein Problem werden.
Papsdorf: Dass das ganze Regelwerk bisher so schlank ist, sehe ich tatsächlich als einen Vorteil, weil das Netzwerk dadurch transparent und übersichtlich bleibt. Das wird aber sicher nicht so bleiben, da wird der Druck zur Berichterstattung perspektivisch zu groß werden. Ich frag mich noch, wie der Stellenwert einzuordnen ist – also eher in Richtung Talkshow für die Hosentasche oder Podcast 2.0?
Schubert: Podcasts sind ja in Deutschland total beliebt. Insofern ist Clubhouse eine Weiterentwicklung dieses Formates, das mehr Relevanz und Aktualität durch die Unmittelbarkeit herstellt. Clubhouse hat noch eine Menge Kinderkrankheiten, so wie bei den anderen Netzwerken auch am Anfang. Auch das Thema Datenschutz sehe ich kritisch. Ich denke, wir sind jetzt noch in der Phase einer Selbstregulierung, in der sich die Regeln des Miteinanders noch herausbilden. Für mich überwiegt da aber aktuell einfach die Lust aufs Experimentieren. Und wann hat man schon mal die Gelegenheit, zum Beispiel bei einer Redaktionssitzung der ZEIT dabei zu sein – auch ein Format auf Clubhouse.
Ob sich Clubhouse als App in Zukunft halten wird bleibt abzuwarten. Das Potenzial, dass andere Plattformen wie Facebook oder Twitter die Idee von Clubhouse in verbesserter oder verschlechterter Form adaptieren, schätze ich sehr hoch ein. Die Idee dahinter hat aber großes Entfaltungspotenzial.
Vielen Dank für das Gespräch.
Matthias Fejes
29.01.2021