Mit cooler Idee zum Erfolg: Fahrradspeichen aus Textil
Ingo Berbig wagte nach seinem Maschinenbau-Studium mit einer Entwicklung aus dem Forschungslabor und mit Unterstützung der TU Chemnitz den Sprung in die Selbstständigkeit
Fahrradspeichen aus Textil, geht das überhaupt? Diese Frage wurde Ingo Berbig schon oft gestellt. Der Absolvent der Technischen Universität Chemnitz und Gründer der Firma PI ROPE beweist heute mit seinem Team täglich, dass Speichen tatsächlich aus synthetischen Fasern bestehen können und Fahrräder dadurch nicht nur leichter und stabiler werden, sondern auch leiser und sanfter rollen können.
Die Idee reifte bereits an der Universität. Dort studierte Berbig von 2000 bis 2006 Maschinenbau. „Damals konnte ich sehr viel Einfluss auf die Inhalte meines Studiums nehmen, vor allem nach dem Vordiplom konnte ich bereits die Weichen für meine spätere berufliche Laufbahn stellen. Auch eine Anstellung als studentische Hilfskraft hat mir die Berufswahl erleichtert“, sagt er rückblickend. Mit zahlreichen praktischen Erfahrungen von seinem Studienaufenthalt am Sächsischen Textilforschungsinstitut und dem Diplom in der Tasche startete er an der Professur Fördertechnik (Leitung: Prof. Dr. Klaus Nendel) der TU Chemnitz als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Gemeinsam mit anderen Nachwuchsforscherinnen und -forschern war er hier in die Grundlagenforschung eingebunden. Da auch anwendungsnahe Applikationen gefragt waren, suchte sich sein Team ein neues Anwendungsfeld und entwickelte neuartige Fahrradspeichen. „Während herkömmliche Speichen meist aus rostfreiem Edelstahl, Aluminium oder im Profibereich aus Carbon gefertigt werden, setzten wir auf synthetische hochfeste Hightech-Fasern, die einen wesentlichen Vorteil haben - sie sind sehr leicht“, so Berbig. Als passionierter Radfahrer weiß er diesen Vorteil selbst zu schätzen: „Am Berg zählt jedes Gramm, das man nicht bewegen muss.“
Nachdem die neuen Fahrradspeichen in den Labors der Fakultät für Maschinenbau langwierige Belastungstests, die den Aufprall auf Hindernisse simulieren, und unzählige Zugversuche mit Bravour bestanden hatten, war für Berbig recht schnell klar, mit dieser Innovation den Markt erobern zu wollen. Der ausgründungswilligen Nachwuchsforschungsgruppe stand ab 2016 ein durch den Europäischen Sozialfonds und das Bundeswirtschaftsministerium gefördertes „EXIST-Gründerstipendium“ in Höhe von 95.000 Euro zur Verfügung, um die Forschungsergebnisse in ein Start-up zu überführen. „Wir hatten ein Jahr Zeit, um einen Businessplan zu erstellen und unser Speichensystem an die Serienreife heranzuführen“, berichtet Berbig. Ein Patent war bereits angemeldet. „Beim Sprung in die Selbstständigkeit wurden wir von der Professur Fördertechnik und dem Gründungsnetzwerk SAXEED großartig unterstützt, wofür ich heute noch sehr dankbar bin“, sagt der Geschäftsführer der PI ROPE GmbH in Chemnitz. PI ROPE steht übrigens für die Kreiszahl Pi und das englische Wort für Seil.
Nach der Firmengründung im September 2017 war der Weg auf den Markt mit einem völlig neuen Produkt und einem bis dahin unbekannten Firmennamen nicht immer einfach. Berbig erinnert sich: „Wir wollten möglichst schnell unsere extrem belastbaren und leistungsfähigen Speichen so schnell wie möglich für Hobbyräder, Profiräder und E-Bikes anbieten. Von Anfang an ging es darum, unsere potenziellen Kunden zu überzeugen – den Leistungssportler ebenso wie die Freizeitradfahrerin. Wir wollten auch keine Investoren ins Unternehmen holen. Deshalb haben wir alles aus eigener Kraft stemmen müssen. Schon in der Startphase von PI ROPE haben wir sehr wichtige Partner gefunden, die an uns und unsere Produkte glauben. Außerdem konnten wir eine Menge medienwirksame Speichentests auf der Straße und im Gelände initiieren, was letztendlich den Namen unserer Firma in alle Welt trug.“ Kein Wunder, dass die Firma PI ROPE in ihrem Nischen-Segment zu den Top10-Marken weltweit gehören möchte. In Europa ist das innovative Unternehmen laut eigener Aussage der einzige Hersteller von textilen Speichen. Zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen heute am Firmensitz, dem Gebäude der ehemaligen Strumpffabrik S.A. Löffler im Chemnitzer Stadtteil Einsiedel, dafür, dass Tausende Fasern in mehreren Fäden zu Fahrradspeichern verflochten werden. 40 bis 60 Räder verlassen derzeit monatlich die Manufaktur.
Auch sechs Jahre nach der Ausgründung aus der TU Chemnitz sucht das Unternehmen die Nähe zur Universität. „Es gibt immer mal wieder notwendige Entwicklungen, die wir alleine nicht stemmen können. Da ist der enge Kontakt zur TU Chemnitz sehr wertvoll. Dabei können sich auch zukünftig Kooperationen im Bereich der technologischen Weiterentwicklung und auch auf dem Gebiet weiterer Applikationen ergeben“, so Berbig.
Gern kommt er auch immer wieder mit Studierenden ins Gespräch. So freut sich der Firmengründer bereits auf die nächste „Immatrikulations- und Auftaktfeier“ der TU Chemnitz am 17. Oktober 2023, deren Programm er mitgestalten wird. Fragt man ihn, was er Studierenden für den Weg ins Berufsleben und vor allem für ein erfolgreiches Studium empfiehlt, antwortet er: „Findet rechtzeitig heraus, was euch liegt und was euren Wünschen entspricht! Kümmert euch noch während des Studiums um Kontakte, die euch weiterbringen! Eine Anstellung als Student kann hilfreich sein. Wichtig für den späteren Weg sind auf jeden Fall innere Überzeugung und Durchhaltevermögen.“ Berbig selbst scheint während seines Maschinenbau-Studiums an der TU Chemnitz alles richtig gemacht zu haben. Und jetzt tüftelt er bereits an neuen Anwendungen für textile Geflechte abseits von Fahrrädern – man darf also gespannt sein.
Mario Steinebach
19.09.2023