Wismut - ein strahlendes Unternehmen und seine Altlasten
Die Geschichte des ostdeutschen Uranerzbergbaus und seiner Sanierung von 1947 bis 2007 wird umfassend erforscht - Historiker der TU Chemnitz sind besonders auf die Auswertung russischer Quellen gespannt
Der ehemalige Schacht 38 mit Haldenkomplex in Schlema. Foto: Archiv der Wismut GmbH |
Die Geschichte des Uranerzbergbaus in Ostdeutschland war bis 1990 fast eine Terra incognita - ein nahezu unbeschriebenes Gebiet. Da die SAG Wismut zum sowjetischen Atomkomplex gehörte, wurde sie strikt abgeschottet. Bis heute gibt es nur wenige historische Studien, die sich vertiefend den gesellschaftspolitischen Zusammenhängen des Uranerzbergbaus in Sachsen und Thüringen auseinandergesetzt haben. Deshalb startet im August 2008 ein unter anderem vom Bundeswirtschaftsministerium und mehreren Stiftungen gefördertes Projekt, das sowohl den Uranerzbergbau bis zur Einstellung der Produktion als auch dessen Sanierung beleuchtet. "60 Jahre gilt es historisch aufzuarbeiten", berichtet Prof. Dr. Rudolf Boch, Inhaber der Professur Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der TU Chemnitz, der das Projekt wissenschaftlich leitet.
Die Gründung der SAG Wismut 1947 war eine Folge des Kalten Krieges und des nuklearen Wettrüstens. Rasch nahm diese für die UdSSR strategisch äußerst wichtige SAG eine Sonderstellung in der Wirtschaft der DDR ein. 1953 wurde nach der Liquidation der SAG Wismut eine Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) gegründet, die ab Januar 1954 ihre Tätigkeit aufnahm. Bis 1990 entwickelte sie sich mit einer Gewinnung von mehr als 231.000 Tonnen Uran zum drittgrößten Uranproduzenten der Welt. Im Zuge der politischen Veränderungen im damaligen Ostblock stellte die Sowjetunion 1990 ihren Uranimport aus der DDR ein. Die im Dezember 1991 gegründete bundeseigene Wismut GmbH hat inzwischen den größten Teil der Altlasten saniert. Bis 2015 soll dieser weltweit einmalige Kraftakt nahezu abgeschlossen sein. "Da die Wismut lange Zeit ein sowjetisch-deutsches Unternehmen war, messen wir bei unseren Nachforschungen insbesondere russischen Quellen eine besondere Bedeutung bei", sagt Boch. Zudem seien für die Einordnung und die Bewertung der Geschichte der Wismut internationale Vergleiche erforderlich - vor allem zur Entwicklung vom Uranproduzenten zum Sanierer, des Umwelt- und Strahlenschutzes, der Belegschaftsentwicklung, der Wirtschaftlichkeit und der betrieblichen Sozialleistungen.
Auf die Historiker der TU Chemnitz und ihre Projektpartner wartet in den kommenden drei Jahren viel Arbeit. Tausende von Akten und Materialien in Archiven und Bibliotheken in Deutschland und in Russland gilt es zu sichten und auszuwerten. Wichtige noch nicht erschlossene Quellen erhoffen sich die Historiker im Staats- und im Wirtschaftsarchiv der Russischen Förderation, im Archiv des Atomministeriums in Moskau, im Bundesarchiv in Berlin, in den Hauptstaatsarchiven von Sachsen und Thüringen sowie im Archiv der Wismut GmbH zu finden. Hinzu kommen viele kleinere Archive und Privatsammlungen. "Zentrale Dokumente zur Geschichte und zur Sanierung des Uranbergbaus gilt es, gründlich zu editieren. Dies ist insbesondere für politische Entscheidungsträger, Hochschulen und Schulen sowie zahlreiche Interessierte im In- und Ausland von großem Wert", ergänzt der Historiker Dr. Rainer Karlsch, der als einer der Projektmitarbeiter insbesondere für die Zusammenstellung eines Quellenbandes verantwortlich ist. Ein wichtiger Partner sei Prof. Dr. Wladimir Sacharow, Direktor für Forschung am Staatlichen Archiv der Russischen Förderation (GARF) in Moskau, der über die nötigen Zugänge zu den russischen Quellen verfüge.
Auch für die Wismut selbst ist dieses Projekt sehr wichtig. "Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des Unternehmens ist für uns die einzige Chance, alle subjektiven Betrachtungen der Vergangenheit durch Objektivität zu ersetzen", sagt Horst Bellmann, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Wismut GmbH.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Rudolf Boch, Telefon 0371 531-33921 oder -38395, E-Mail rudolf.boch@phil.tu-chemnitz.de.
Mario Steinebach
04.08.2008