Als Englischlehrer in Nepal
Student Anar Taki berichtet vom Praktikum an der Stone Bridge Secondary School, Dhangadhi, und startet mit der Professur Anglistische Literaturwissenschaft eine Aktion zum Aufbau einer Schulbibliothek
Anar Taki studiert im zweiten Semester im Bachelor Anglistik/Amerikanistik an der Technischen Universität Chemnitz. Anfang des Jahres weilte er sechs Wochen an der Stone Bridge Secondary School in Dhangadhi. Für "Uni aktuell" schildert er Eindrücke von seinem Aufenthalt in Nepal.
Als ich meinen Freunden vor rund einem halben Jahr eröffnete, dass ich in meinen Semesterferien nach Dhangadhi an die Stone Bridge Secondary School in Nepal gehen würde, um sechs Wochen an einer Schule Englischunterricht zu erteilen und alle - ich eingeschlossen - an Reinhold Messner und den Yeti dachten, fiel mir auf, dass ich gar nicht so richtig wusste, was mich erwarten würde. Oft fragte man mich: "Warum Nepal?" Diese, zugegebenermaßen, syntaktisch hochgradig gegliederte Frage fühlte sich an, als würde man einen Scheinwerfer auf meine Ahnungslosigkeit richten.
Mehrere Gründe spielten eine Rolle. Einerseits existiert seit 2012 ein Kooperationsvertrag zwischen der Professur Anglistische Literaturwissenschaft der TU Chemnitz und der Stone Bridge Secondary School, der durch die Initiative von Prof. Dr. Cecile Sandten entstand. Dieser ermöglichte es mir, ohne großen bürokratischen Aufwand an diese Schule zu gehen und dort zu lehren. Andererseits nahm ich an, dass die Zeitspanne von sechs Wochen optimal sei, um herauszufinden, ob das Dasein als Lehrer eine Option bei der späteren Berufswahl sein könnte. Und der Reiz war groß, in ein Land zu reisen, gezwungenermaßen ohne konkrete Erwartungen daran, wie es sein würde, und eine von den vielen Facetten Nepals kennenzulernen. Rückblickend bin ich für den letztgenannten Grund am dankbarsten.
Die Stone Bridge Secondary School ist eine Privatschule im äußersten Westen Nepals in der kleinen Stadt Dhangadhi. Bei einer Privatschule an Marmorböden und Mahagoniwendeltreppen á la Eton zu denken, ist in diesem Fall ein Trugschluss. Privatschulen machen 80 Prozent der Schulen in Nepal aus. Grund dafür ist die Regierung des Landes, die zu arm und schwach ist, um Bildungseinrichtungen dieser Art flächendeckend zu finanzieren. So wird auch die Stone Bridge Secondary School lediglich von den bescheidenen Mitteln der Eltern getragen. Der direkte Einfluss dieser Umstände auf die Schule ist offensichtlich. Die Treppen sind Stolperfallen, die Bücher werden von Klebeband zusammengehalten und Lehrer sind meist selbst Studenten, die für ein kleines Taschengeld arbeiten.
Zum Anlass meiner Ankunft veranstaltete man ein Volksfest mittlerer Größe. Die Schüler führten einen traditionellen Tharu-Tanz vor, sangen und schenkten mir mehr Blumen als ich tragen konnte. Die Tharu stellen einen Teil der indigenen Bevölkerung des westlichen Terai, dem Tiefland, das entlang der indischen Grenze im Süden Nepals verläuft, dar. Da saß ich also im Schatten eines Mangobaums, einen Blumenkranz um den Hals, einen roten Punkt auf der Stirn, neunhundertneunzig Google-Maps-Fuß-Etappen von Chemnitz entfernt und dachte: "Das wird lustig!" Und ich sollte Recht behalten.
Unterkunft fand ich bei Familie Shah. Vater Shah ist ein Gründungsvater der Schule, arbeitet jedoch an einer staatlichen Schule, wenige Motorradstunden von Dhangadhi entfernt. Die vier Kinder der Familie besuchen die Stone Bridge Secondary School. Der Kleinste bekam jeden Morgen einen Ausraster kinskischen Ausmaßes, bei dem Gedanken daran zur Schule zu gehen. Nachdem ihm ein paar Rupien zugesteckt wurden, verschwanden Tränen und Geschrei. Am Anfang waren die Kinder der Familie ein wenig schüchtern. Schon am dritten Tag jedoch lief ich den Kindern auf dem Weg zur Schule voraus, als jemand meine linke Hand nahm. Ich schaute nach links unten und sah das breite Grinsen des Kleinsten. Seine sonst so braun-strahlenden Augen verschwanden und seine kurzen weißen Zähne wurden sichtbar.
Ich unterrichtete Klasse Sechs bis Neun, sechs Tage die Woche. Nach einem Morgenappell, bei dem die Nationalhymne gesungen und ein Gebet gesprochen wurden, marschierte man gegen 10 Uhr zur ersten Stunde des Tages in die Klassenzimmer. Anfangs bereitete es uns große Schwierigkeiten, das Englisch des anderen zu verstehen, was zu dem ein oder anderen lustigen Missverständnis führte.
Ich nutzte die ersten Tage, um die Kinder viel Schreiben zu lassen, um mir so einen Überblick zu verschaffen. Nie hatte ich den Anspruch, die Schüler in sechs Wochen zu englisch-sprachigen Superstars auszubilden und so beschränkte ich mich größtenteils darauf, Fehlermuster zu erkennen und diese anzugehen. Ich versuchte "He, She, It - das "s" muss mit!" ins Nepalesische zu übersetzen, scheiterte aber an den fragenden Gesichtern meiner Schüler. Die unterschiedlichen Levels an Fähigkeiten innerhalb einer Klasse waren gravierend und neben den ärmlichen Englischbüchern Grund dafür, dass man oft vor eine Herausforderung gestellt wurde, die man nur individuell und mit viel Geduld lösen konnte.
Der Direktor der Schule, Herr Singh, wurde ein enger Vertrauter. Oft klärte er mich wütend über die miserable politische Lage des Landes auf. Die Anzahl der Streiks machte eine Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte des Landes unumgänglich. Es waren diese Momente, in denen ich mich fragte, wie man nachhaltiger helfen könnte. Herr Singh und ich organisierten eine Art Elternsprechabend. Wir proklamierten unsere Auffassung, dass auch Eltern für die Bildung ihrer Kinder verantwortlich sind und bis zu einem gewissen Maße dazu beitragen können, dass ihre Schützlinge wenigstens regelmäßig ihre Hausaufgaben machen. Diese Philosophie kommt etwa einem Thesenanschlag gleich.
Danach reiste ich noch zwei Wochen durch Nepal und durfte viele andere Facetten des Landes kennenlernen. Von 3.200 Metern starrte ich gebannt auf das Annapurna-Massiv, beobachtete mit 7.000 anderen Zuschauern zwei rivalisierende Stadthälften bei einem spektakulärem Tauziehen. Während meiner Tour durch das Land ordnete ich Stück für Stück die Eindrücke meiner Lehrertätigkeit. Dabei entstand die Idee, eine englischsprachige Bibliothek an der Stone Bridge Secondary School aufbauen zu helfen.
Ein kleines Engagement meinerseits, das dazu beitragen könnte, Kindern Spaß am Lesen zu vermitteln und sie so empfänglicher für die englische Sprache zu machen, schien mir als logische und natürliche Konsequenz meines Aufenthaltes. Denn wie könnte ich, nachdem ich sechs Wochen dort gelebt habe, Zeuge der Lebensumstände war, Teil vieler kleiner und großer Familien wurde, einfach so zurückkommen und weitermachen, als wüsste ich nicht davon?
Daher habe ich mir überlegt, dass der Beginn einer weiteren institutionellen Förderung der Stone Bridge Secondary School, neben des bereits bestehenden "Memorandum of Understanding", vor allem die Einrichtung einer - für nepalesische Verhältnisse gut ausgestatteten - Bibliothek wäre. Dies wird von der Professur Anglistische Literaturwissenschaft mit getragen. Falls jemand über englische Jugend- und Kinderbücher verfügt, die er für einen guten Zweck spenden möchte, so kann er diese an die TU Chemnitz, Professur Anglistische Literaturwissenschaft, Reichenhainer Straße 39, 09126 Chemnitz, senden oder dort direkt im Zimmer 226 abgeben. Wir freuen uns über alles - von Harry Potter über Sammlungen von Kurzgeschichten bis hin zu Comic-Heften. Wir sind für jede Spende dankbar.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Cecile Sandten, Telefon 0371 531-34285, E-Mail cecile.sandten@phil.tu-chemnitz.de.
Mario Steinebach
23.04.2013