Wie Rassismus die Gesellschaft verändert
Sammelband unter Chemnitzer Federführung bündelt Beiträge und Perspektiven zu den Ereignissen in Chemnitz 2018 und dessen Folgen
„Hassbotschaften, Hetzjagden und von rechten Kräften inszenierte ‚Trauermärsche‘ – die Bilder von Chemnitz im Herbst des vergangenen Jahres haben– regional wie überregional – wochenlang die Debatten geprägt. Der antisemitisch und rechtextremistisch motivierte Anschlag in Halle/Saale vor wenigen Tagen ist das jüngste Beispiel dafür, wohin Hass und menschenverachtendes Gedankengut führen können“, so Dr. Miriam Schreiter, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur Interkulturelle Kommunikation der TU Chemnitz. „Wir leben und arbeiten in Chemnitz und solche Geschehnisse zwingen uns, uns mit Rassismus, mit den alltäglichen Praktiken von Ausgrenzung und Diffamierung in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen.“
Der am 2. Oktober 2019 im transcript-Verlag erschienene Sammelband „Rassismus im Alltag. Theoretische und empirische Perspektiven nach Chemnitz“ bündelt Forschungsbeiträge zu den Themenkomplexen „Alltäglicher Rassismus“, „Antisemitismus“ und „Menschenfeindlichkeit“. Herausgegeben haben den Band Prof. Dr. Heidrun Friese, Inhaberin der Professur Interkulturelle Kommunikation (IKK) an der Technischen Universität Chemnitz, sowie ihr Mitarbeiter Dr. Marcus Nolden und ihre Mitarbeiterin Dr. Miriam Schreiter.
Der Band versammelt interdisziplinäre Beiträge zur Auseinandersetzung mit diesen Themen und zeigt zugleich Perspektiven von Forscherinnen und Forschern auf Chemnitz und die Ereignisse rund um den Spätsommer 2018 auf. Der Band ist zweigeteilt: Während der erste Teil offene, versteckte und negierte Alltagsrassismen allgemein in den Blick nimmt, konzentriert sich der zweite Teil auf die Geschehnisse in Chemnitz von 2018.
Hintergrund: Sammelband und Tagung zu „Alltagsrassismen“
Der Band ist aus der Tagung „Alltagsrassismen – Empirische und theoretische Perspektiven“ hervorgegangen, die vom 16. bis 17. November 2018 von der Professur Interkulturelle Kommunikation organisiert wurde. Tagungsort war die TU Chemnitz. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema wurde jüngst im Nachwuchs-Workshop „Ich bin kein Rassist, aber ... – Phänomene des Alltagsrassismus“ weitergeführt, der vom 16. bis 17. September 2019 im „Open Space“ am Marx-Monument in der Chemnitzer Innenstadt stattfand. Geleitet wurde der Workshop von Dr. Melanie Hühn, Katrin Linde, Dr. Marcus Nolden und Dr. Madeleine Sauer von der Professur IKK.
Der nun erschienene Sammelband umfasst 218 Seiten und ist als Print-Version für € 24,99 oder als E-Book für € 21,99 erhältlich. Das Inhaltsverzeichnis ist online verfügbar.
Hintergrund: Chemnitzer Beiträge im Sammelband
- Heidrun Friese (Interkulturelle Kommunikation) befasst sich mit Mikrorassismus am Beispiel von Kommentaren im Leserforum von ZEIT ONLINE zu Migration und Seenotrettung im Mittelmeer. Sie zeigt, „wie derzeitige Migrationsdebatten identitär-rassistisch gerahmt sind und die koloniale Imagination weiterführen“ (S. 9).
- Felix Hoffman (DFG-Forschungsprojekt „Zwischen Exklusion, Integration und Inklusion – Zu den praktischen Grenzen, Bedingungen und Möglichkeiten von Alteritätspolitik in Chemnitz“ an der Professur IKK) adressiert derzeitige Identitätspolitiken, „zeichnet die praktischen Logiken von Gewalt und Identifizierung nach und beschäftigt sich mit Debatten, die sich zwischen rassistischen und antirassistischen Politikformen bewegen“ (S. 10).
- Susanne Rippl (Arbeitsbereich: Politische Soziologie) untersucht in ihrem Beitrag „unterschiedliche Faktoren, die zur Eskalation in Chemnitz beigetragen haben“ (S. 10). Sie beleuchtet hierfür zeitgeschichtliche Einflüsse wie Digitalisierung, Modernisierung, Globalisierung und neoliberale Politik sowie Spezifika Ostdeutschlands und strukturell-institutionelle Besonderheiten in Sachsen.
- Miriam Schreiter (IKK) befasst sich mit den Online-Mobilisierungsstrategien der sog. „Bürgerbewegung“ ProChemnitz und untersucht, wie dadurch rassistisches und rechtsextremes Gedankengut strategisch verbreitet und legitimiert werden.
- Frank Asbrock, Vera Kaiser, Claas Pollmanns und Daniel Corlett (Professur Sozialpsychologie) beziehen sich in ihrem Beitrag auf eine im September 2018 unter allen Studierenden der TU Chemnitz durchgeführte Befragung. Sie thematisieren die „Folgen, die Rassismus auf die Gesundheit von Betroffenen und auf deren Protestbereitschaft hat“ (S. 12).
- Marcus Nolden (IKK) arbeitet am Beispiel der Chemnitzer Bürgerdialoge heraus, „wie diskursive Ausschlusspraktiken rassistische Erfahrungen und die Perspektive der von Rassismus betroffenen Menschen aus städtischen Dialog-Angeboten verdrängen“ (S. 12).
Hintergrund: Kampagne #wirsindchemnitz
Die TU Chemnitz hat anlässlich der Ereignisse in Chemnitz 2018 schnell und umfassend mit der Kampagne #wirsindchemnitz reagiert. Damit setzte sie in klares Zeichen für Vielfalt und Weltoffenheit in Chemnitz. Herzstück der Kampagne ist ein Video-Clip, in dem nationale und internationale Studierende und Beschäftigte Chemnitz ein internationales, weltoffenes und tolerantes Gesicht geben. Diese Kampagne wurde nicht nur innerhalb der Universität und der Stadt sehr positiv wahrgenommen, sondern auch von vielen Medien, darunter von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und vom ZDF. Der Erfolg der Kampagne wurden nun zudem mit dem Preis für Hochschulkommunikation 2019 bedacht.
Weitere Informationen erteilt Dr. phil. Marcus Nolden, Tel. +49 (0)371/531-34992, E-Mail marcus.nolden@phil.tu-chemnitz.de
Matthias Fejes
18.10.2019