Entstehung des Ateneo
Um die Entstehung des Ateneo de Madrid zu verstehen, muss man zuerst den historischen Kontext kennen. Die Entstehungsgeschichte beginnt zwischen 1808 und 1814 während der napoleonischen Invasion. Der Widerstand der Spanier gegen die Franzosen wurde nicht nur von politischen Turbulenzen umgeben, sondern war auch begleitet von einem politischen Wandel – die Verfassung von Cádiz 1812. Sie gab der absoluten Monarchie einen konstitutionellen Charakter, der dem Volk Freiheiten und das Leben als Bürger, und nicht als Untertanen, garantierte. Doch kurz darauf wurde die liberale Verfassung von König Fernando VII. wieder annulliert.[1]
In Europa kam zu dieser Zeit in einigen liberalen Staaten der Nationalismus auf.[2] Auch Spanien war im 19. Jahrhundert auf der Suche nach einer Nationalidentität und mehr Liberalismus. Die Gelehrten sahen die Notwendigkeit, eine freie Mentalität mit Hilfe von Debatten, offenen Diskussionen und die Verbreitung dieses Freiheitsgedankens, durchzusetzen. Diese Idee war auch die erklärte Funktion des Ateneo Español, welches dem jetzigen Ateneo voranging.
Die Idee dafür war im "engen, sehr dreckigen und düsteren"[3] Café del Príncipe geboren worden. Schriftsteller wie Larra, Hartzenbusch oder Zorrilla und Politiker wie Olózaga, Bravo Murillo oder Donoso Cortés trafen sich dort, um "ruhig und freundschaftlich über Fragen der Legislation, Politik, Wirtschaft und generell über alles, was sich für die Öffentlichkeit als nützlich erweist“[4] diskutieren zu können. Das Ateneo Español, das von 1820 bis 1823 auf eine Initiative von Juan Manuel de los Ríos hin bestand, deklarierte sich als patriotische Gesellschaft, die für die freie Meinungsäußerung kämpfte.
Diese ausgewählte Gruppe von Privatpersonen aus der intellektuellen Elite Spaniens, unter ihnen Ärzte, Lehrer, Professoren und – wohlgemerkt – keine Historiker, diskutierten über generelle Regeln, die zwischen dem Staat und ihren Interessen herrschen sollten. Sie erörterten in rational-kritischen Diskursen politische Fragen und legten so eine öffentliche Meinung fest, die im Prinzip nichts anderes war als die Selbstinterpretation dieser Gruppe.[5] Die Idee war klar konzipiert im Rahmen eines liberalen Staates, der von der Erziehung und den Anleitungen durch die Regierung abhing. Doch die Idee des Ateneo war die Verbreitung von Wissen und der Nationalkultur, unabhängig von der Verbreitung oder der Finanzierung durch den Staat, um so frei denken und schreiben zu können.[6]
Das Durchsetzen dieser Interessen war allerdings erst durch die Verbreitung der Ideen durch Kommunikation, zum Beispiel der Presse, möglich geworden. Dies war sehr bedeutend, denn der Nationalismus und die Definition einer eigenen Nationalkultur konnten nur bestehen, wenn diese politische Idee auch durch die Bürger verinnerlicht wurde. Und eben dies war nur durch die Verbreitung über Zeitschriften und Zeitungen möglich.[7]
Die Gründung des Ateneo de Madrid
In einem Sonderausschuss der Königlichen Wirtschaftlichen Vereinigung von Madrid am 31. Oktober 1835 wurde von Juan Miguel de los Ríos der Vorschlag gemacht, ein wissenschaftliches und künstlerisches Ateneo zu gründen. Am 6. Dezember 1835 wurde dann das Ateneo Científico y Literario (dt.: „Wissenschaftlicher und Literarischer Kulturverein“) vom Schriftsteller und Politiker Ángel de Saavedra Ramírez, Duque de Rivas, gegründet. Er, ein liberal geprägter Herzog, hatte zudem die Präsidentschaft inne. Weitere Mitbegründer waren Schriftsteller und Politiker wie Salustiano Olózaga, Alcalá Galiano, Juan Miguel de los Ríos und Francisco López Olavarrieta.[8]
In den ersten Jahren interessierten sich die Mitglieder des Ateneo vor allem für wirtschaftliche und politische Reformen des europäischen Liberalismus, etwa die konstitutionelle Organisation, das Zivilgesetzbuch, die Steuerbehörde und der öffentliche Kredit, also die Interessen des Bürgertums, die im Handel oder der Industrie tätig waren.[9]
Dann begann die Suche nach einem festen Sitz für die Institution. Trotz fünf Umzügen wurde weiterhin rege über Astronomie, Judentum, Philosophie oder internationale Beziehungen diskutiert. Auch der Einfluss des deutschen Philosophen Karl Christian Krause machte sich in den 1860er Jahren bemerkbar: Man debattierte anstatt über Politik im Allgemeinen über Demokratie, Sozialismus und Freihandelspolitik.[10]
Am 31. Januar 1884 wurde auf Initiative von Cánovas schließlich der aktuelle Sitz der Institution in der Calle del Prado Nummer 21 eröffnet. Bei der Eröffnung übernahmen die Könige die Präsidentschaft und die Aristokratie die Ehrenposten, was bei vielen Anhängern Ärger verursachte. Gleichzeitig erlangte das Ateneo öffentliche Bekanntheit und wurde von der Regierung unterstützt, unter anderem mit Büchern für die Bibliothek, die schon bald nicht mehr wegzudenken war. Das intellektuelle und politische Leben der Institution verlief weiter auf Hochtouren. Für zehn Peseten konnte man die gemütlichen Salons und eine wunderbare Bibliothek genießen, die bereits 1935 100.000 Bände umfasste, und die vor allem eine Heizung hatte.[11]
Ein Jahr später führte Segismundo Moret, Präsident des Ateneo und später Regierungspräsident, Konferenzen über die spanische Geschichte ein. Er sprach davon, dass die Lektüre der Gesetze der menschlichen Evolution ein viel solideres Fundament geben könne als unser Verständnis der Geschichte. Dieses Verständnis beruhe auf der Generalisierung der Geschichtsphilosophie. Das hatte zur Folge, dass die Anhänger des Ateneo die spanische Geschichte und den spanischen Nationalismus verstehen wollten. Das Ateneo verwandelte sich immer mehr in ein wichtiges Zentrum für die Schaffung der öffentlichen Meinung und somit auch für die Konstruktion einer nationalen Identität.[12]
Lesen Sie mehr:
[1] Ateneo de Madrid 2011.
[2] Fox 1998: 27.
[3] Ateneo de Madrid 2011.
[4] Ateneo de Madrid 2011.
[5] Fox 1998: 27f.
[6] Fox 1998: 29.
[7] Fox 1998: 28.
[8] Ateneo de Madrid 2011.
[9] Fox 1998: 29.
[10] Fox 1998: 30
[11] Ateneo de Madrid 2011.
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